Die Sehnsucht nach einem langweiligen AfD-Parteitag

Stand: 15.04.2023, 06:00 Uhr

Die NRW-AfD trifft sich in Marl zum Parteitag. Dabei geht es um Satzungsfragen und eine unspektakuläre Nachwahl. Doch ganz so langweilig könnte es am Ende doch nicht werden.

Von Christoph Ullrich

Als Martin Vincentz vor etwas über einem Jahr zum Parteichef des größten AfD-Verbandes gewählt wurde, war er auch ein Versprechen: Der Arzt aus Tönisvorst gilt als das integre Gesicht der Partei. Er verzichtet im Landtag auf scharfe Reden, hat das ein oder andere Mal auch Zustimmung der anderen Fraktionen gefunden, wenn auch eher verdeckt.

AfD-Themen, von anderen Parteien übernommen

Als Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zum Jahreswechsel das Thema Einsamkeit als soziale Herausforderung auf seine Agenda setzte, bediente er sich eines Themas, das die AfD gesetzt hatte - in Person des Partei- und Fraktionschefs Vincentz. Dieser hatte sich einst für eine Landtagskommission eingesetzt, welche die Folgen von Einsamkeit auf die Gesellschaft untersuchen sollte.

Dass eine solche Nüchternheit im Umgang mit Themen auch auf die gesamte AfD abstrahlt, das ist die Hoffnung der aktuellen Parteistrategen. Auf die Frage, ob er sich nicht mal einen Parteitag ohne Skandale wünsche, sagt Vincentz deshalb: "Unbedingt, das ist das Ziel!"

Parteitag ohne Streit? Eine Premiere!

Es wäre dabei so etwas wie eine Premiere. Seit der Gründung der Landespartei vor zehn Jahren hat es kein Delegierten-Treffen gegeben, auf dem sich nicht entweder Lager bekämpften, Skandale um Vorstände hereinbrachen oder kleinlich um Satzungsfragen gestritten wurde.

Selbst bei Vincentzs Wahl im Februar 2022 ging nicht alles glatt. Als man schon den Eindruck bekommen konnte, die AfD könne geordnet einen Vorstand über alle Lager wählen, wurde plötzlich Matthias Helferich aus Dortmund ins Landesschiedsgericht der Partei gewählt.

Der Mann, der sich einst als das "freundliche Gesicht des NS" bezeichnete - eine ironische Überspitzung, wie er immer wieder erklärt, stand da eigentlich kurz vor einer Ämtersperre. Er durfte außerdem nicht Teil der Bundestagsfraktion werden, nachdem er zuvor über die AfD-Landesliste in den Bundestag eingezogen war.

Erneuter Ärger um Matthias Helferich

Helferich war in der Vergangenheit schon mit einigen anderen Aktionen aufgefallen - so trug das ehemalige CDU-Mitglied zeitweise auch gerne Mal eine Kornblume am Revers - das einstige Erkennungszeichen der österreichischen Nationalsozialisten. Nicht nur deshalb würden ihn nicht wenige gerne aus der Partei werfen.

Trotzdem ist er noch Mitglied - und er könnte den Parteitag zum Kippen bringen. Denn zwischen all den Satzungsanträgen und Fragen zur Finanzordnung verbirgt sich eine Resolution zum Ende des Krieges in der Ukraine. Helferich ist einer der Initiatoren, der Parteitag soll über das Papier abstimmen.

Passagen, die AfD in "Misskredit" bringen könnten

Es ist ein Antrag über den Parteichef Vincentz sagt, "einige Passagen können uns dann doch wieder in Misskredit bringen". Konkret meint er Passagen, welche die Souveränität Deutschlands wie auch die Sanktionen gegen Russland infrage stellen und den Vorwurf bestätigen würden, dass die AfD am Ende doch nur eine russlandfreundliche Partei vom rechten Rand sei.

Matthias Helferich dagegen sagt auf WDR-Anfrage, man sei "weder die Alternative für Moskau noch die für Washington". Der 34-Jährige verweist auf mehrere Landtags- und Bundestagsabgeordnete, welche die Resolution unterstützen sowie zahlreiche Vorstände von AfD-Kreisverbänden. Ein Problem für den Vorstand um Martin Vincentz. Das bedeutet nämlich, dass Helferichs Resolution kein aussichtsloses Störfeuer ist. Das Papier könnte eine Mehrheit finden, was eine Niederlage für den aktuellen Vorsitzenden wäre.

Fraglich, ob abgestimmt wird

Ob es aber überhaupt zu dem Showdown kommt, ist fraglich. Nach Parteiangaben hat die AfD den Versammlungsort nur bis 18:00 Uhr gebucht, der Antrag zur Ukraine ist der vorletzte Tagungsordnungspunkt. Schon einmal hat der "Faktor Zeit" eine Debatte über einen kritischen Antrag Helferichs verhindert.

Vor drei Jahren - ebenfalls in Marl - legte Helferich eine Erklärung vor, welche die Partei nach ganz Rechts geführt hätte. Aber man verhedderte sich in Kleinigkeiten und plötzlich musste aus Zeitgründen der Parteitag beendet werden - ohne über das Papier gesprochen wurde.

Parteichef Vincentz war damals als Mitzeichner am Ende froh, dass er nicht in Mithaftung genommen werden konnte. Am Samstag wäre er zufrieden, wenn über ein Papier, das sich gegen ihn stellt, ebenfalls nicht debattiert würde.