Der Vorfall ereignete sich bereits vor rund zwei Wochen: Der pakistanische Bergträger Mohammed Hassan war am zweithöchsten Berg der Welt, dem K2, gestürzt und schließlich ums Leben gekommen. Anschließend wurden Videos bekannt, wie Dutzende Bergsteiger an dem in seinem Seil hängenden, noch lebenden Helfer vorbeigestiegen sein sollen, ohne ihm zu helfen.
Eine Untersuchungskommission in Pakistan will jetzt die Hintergründe des Todes ermitteln. Am Donnerstag gab es erste Zeugenbefragungen, so ein Sprecher. Der Vorfall wirft erneut ein kritisches Licht auf die zunehmende Beliebtheit der welthöchsten Berge für Touristen aus aller Welt.
Alpinist: Leute wollen sich nicht aufhalten lassen
Der österreichische Alpinist Wilhelm Steindl war am Unglückstag selbst am K2 unterwegs, war aber wegen der schwierigen Wetterverhältnisse in ein Lager zurückgekehrt. Drohnenaufnahmen seines Kameramanns zeigten aber, so Steindl, wie etwa 70 Bergsteiger an der engen Stelle in rund 8.300 Metern Höhe an dem Sterbenden vorbeigegangen seien.
Steindl sieht deren Verhalten kritisch: "Der Druck war groß, denn es war der einzige Tag in dieser Saison, um den Gipfel des K2 zu erreichen. Man hätte eine Rettungsaktion starten müssen, aber dann hätte niemand den Gipfel erreicht." Man müsse die Menschlichkeit dort wieder hinbringen, sagt der Österreicher.
Unterlassene Hilfeleistung - die erkennt in dem Fall auch Lukas Furtenbach, Geschäftsführer der österreichischen Alpinschule Furtenbach Adventures. Am Freitag sagte er dem WDR:
Furtenbach erhebt auch einen weiteren schweren Vorwurf: "Wenn das kein Pakistani gewesen wäre, sondern ein Teilnehmer oder auch ein Sherpa, dann hätte die Situation wahrscheinlich anders ausgeschaut. Das ist jetzt zwar Spekulation, ich trau mir aber zu zu sagen, dass das ganz sicher anders ausgegangen wäre. Dann wäre zumindest versucht worden, dieser Person zu helfen."
Der K2 gilt als der anspruchsvollste aller Achttausender. Bisher haben nur rund 300 Menschen den Gipfel bestiegen. Jeder vierte Bergsteiger überlebt den Aufstieg dort laut Statistik nicht. Hassan ist das 96. Todesopfer am K2.
Kritik von Reinhold Messner
Auch Reinhold Messner kritisiert das Verhalten der Bergsteiger massiv: "Es gibt eine Selbstverständlichkeit und die heißt: abbrechen, wenn etwas passiert und dem oder der Verletzten runter helfen. Das ist immer so gehalten gewesen und meistens, wenn es Tote gab, hat man sowieso die Besteigungen abgebrochen." sagte der Extrembergsteiger dem WDR.
"Das stört mich am meisten, dass da ohne viel nachdenken, einfach weiter gipfelwärts gestiegen wurde. Der Tote wurde dann, mit jedem Meter nach oben, mehr vergessen. Und das ist natürlich die Folge, wenn es um Rekorde und Wettkämpfe geht."
Kommerzialisierung seit den 90er Jahren
Anfang der 90er Jahre wurden die ersten kommerziellen Touren im Himalaya-Gebirge angeboten, auf den höchsten Berg Mount Everest. Dort haben in den vergangenen 20 Jahren fast 10.000 Menschen den Gipfel erreicht, allein im Mai 2022 waren es laut des Expeditions-Archivs "Himalayan Database" fast 700 innerhalb eines Monats.
Heute gibt es täglich Dutzende Flüge von der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu in die Bergregion, sogar Helikopter-Flüge zum Basislager in rund 5.000 Metern Höhe. "Das Bergsteigen ist zugänglicher geworden für die Massen, weil Anbieter sicherere und besser geplante Expeditionen veranstalten können", erklärt Khim Lal Gautam vom Tourismusministerium Nepals. Er rechnet damit, dass die Zahl der touristischen Gipfelstürmer noch weiter zunehmen wird.
Abenteuer für Reiche
Für eine Achttausender-Expedition müssen Interessierte viel Geld hinlegen. Schätzungen von Experten gehen von mehreren zehntausend Euro aus. Die große Nachfrage machen sich professionelle Anbieter zunutze: Einige haben mittlerweile VIP-Dienste für bis zu 100.000 Euro im Angebot. Darin enthalten seien etwa private Köche, eine Deluxe-Unterkunft, ein Helikopter im Stand-by, ein großes Helfer-Team, das bis zu 200 Kilo Gepäck trägt und ein Fotograf.
Diese Entwicklung hat aber auch einen positiven Effekt für die einheimischen Bergführer: Sie können nun pro Saison mindestens 500.000 Rupien (circa 3.500 Euro) verdienen, wie mehrere Bergführer vom Volk der Sherpas schätzen - mehr als doppelt so viel, wie ein durchschnittlicher Nepalese im Jahr verdient.
Durch den Massentourismus sollen mittlerweile mehrere Dutzend Tonnen Müll auf dem Mount Everest und anderen Gipfeln liegen. 2014 hat die nepalesische Regierung deshalb ein Pfand von knapp 3.000 Euro eingeführt, das Bergsteiger nur zurückbekommen, wenn sie die Durchschnittsmenge des pro Bergsteiger anfallenden Mülls wieder zurückbringen, das sind rund acht Kilogramm. Der Erfolg der Maßnahme war jedoch überschaubar.