Borhan Akid: "Ich werde in den Augen vieler immer Flüchtling bleiben"

Stand: 20.06.2022, 12:59 Uhr

Der 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. Vor sieben Jahren kam WDR-Journalist Borhan Akid aus Syrien nach Deutschland. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen.

Journalist Borhan Akid kam vor sieben Jahren aus Syrien nach Deutschland. Heute arbeitet er bei WDRforyou, dem WDR-Portal für Flüchtlinge.

WDR: Historisch ist es die absolute Ausnahme, dass Flüchtlinge irgendwo willkommen geheißen wurden. Oft betrachten Einheimische sie als Eindringlinge, als Konkurrenz. Wie hast du dich vor sieben Jahren in Deutschland aufgenommen gefühlt?

Borhan Akid: Ich habe mich vor sieben Jahren willkommen gefühlt. Hatte kaum Gefühle, das wir hier nicht gewollt sind. Das Gefühl ist dann schnell gekippt und ich habe gemerkt, das wird nicht so bleiben.

WDR: Wie ist es dann weitergegangen?

Akid: Ich bin im Oktober 2015 nach Deutschland gekommen. Nach der Silvesternacht 2015/16 in Köln habe ich gemerkt, es gibt auch eine andere Tonlage. Die Menschen sagen teilweise, wir wollen die hier nicht.

Damals konnte ich nur arabische Nachrichten verfolgen und das war nicht schön. Ich hatte das Gefühl, ich bin neu in diesem Land und die Leute wollen uns nicht haben. Dann muss man klug sein und aus dieser Einstellung herauskommen, damit man überhaupt weiterkommen kann.

WDR: Fühlst du dich heute angekommen?

Akid: Ja. Es ist eine Entwicklung und man lernt auch viel. Das Land hat zum Beispiel eine große Migrationsgeschichte. Wenn man das gelernt hat und irgendwann weiß, ich bin als Mensch zu Recht hier. Ich habe nichts falsch gemacht und hatte Gründe für die Flucht.

WDR: Was nicht heißt, dass es keine Bindungen mehr nach Syrien gibt.

Akid: Syrien begleitet mich jeden Tag. Ich bin ständig in Kontakt mit Verwandten und Freunden. Das bricht einem das Herz und man versucht, mit allen möglichen Mitteln zu helfen.

Syrien begleitet mich jeden Tag. Borhan Akid

Kriegshandlungen haben in Syrien abgenommen, aber Not und Elend breiten sich weiter aus. Neunzig Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Vierzehn Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Vor allem junge Menschen haben nur eine Frage, wenn sie 18 werden: Wie komme ich hier raus?

WDR: Es kommen zwar immer noch Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland, aber im Moment stehen die Flüchtlinge aus der Ukraine im Mittelpunkt. Hast du den Eindruck, dass darüber Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt vergessen werden?

Akid: Seit Ausbruch des Krieges redet man kaum noch über andere Flüchtlinge - und das ist durchaus legitim. Was nicht legitim ist, ist der Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine, im Unterschied zu Flüchtlingen aus anderen Teilen der Welt. Menschen, die zum Beispiel seit Monaten an der EU-Außengrenze in Bosnien feststecken.

WDR: Würdest du sagen, wir nehmen Flüchtlinge immer mehr als Flüchtlinge erster, zweiter oder sogar dritter Klasse wahr?

Akid: Ja. Auch in der Berichterstattung einiger Medien. Die aus den anderen Ländern wie Syrien, Afghanistan, Eritrea oder Somalia kommen, werden anders angesehen. Der Begriff "Flüchtling" begleitet mich immer weiter. In den Augen vieler werde ich immer Flüchtling bleiben. Wenn ich sehe, wie manche über uns denken, dann tut mir das weh. Vor allem, weil ich auch vorhabe hier zu bleiben.

Ich kenne ganz viele, die gerne zurück wollen und wenn sie könnten, wären sie schon zurück. Ich bin mit 25 Jahren nach Deutschland gekommen. Bis dahin hatte ich fünf Jahre im Krieg verbracht.

Wenn ich sehe, wie manche über uns denken, dann tut mir das weh. Borhan Akid

Die Zeit danach habe ich damit verbracht, hier anzukommen, Deutsch zu lernen, mich zurechtzufinden, eine Existenz aufzubauen. Wenn ich in fünf Jahren überlege, vielleicht nach Syrien zurückzugehen, werde ich tausendmal überlegen, ob ich das hier alles aufgebe.

Aber die Sorge, ob man die Menschen, die dort geblieben sind, jemals wiedersieht, begleitet einen. Werde ich meine Tante, die jetzt über 60 ist, jemals wiedersehen? Ich glaube nicht.