Flüchtlinge: Menschlichkeit kennt Grenzen | MEINUNG

Stand: 22.09.2023, 06:00 Uhr

"Wir müssen Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen", sagt Altbundespräsident Gauck. Auch Kolumnist Ralph Sina findet: Die deutsche Migrationspolitik muss abschreckender werden.

Von Ralph Sina

Es ist Gefahr im Verzug. Für den Zusammenhalt in Deutschland und für den Fortbestand der EU. Es graut mir vor einem gewaltigen Rechtsruck bei den nächsten deutschen Landtagswahlen und bei der Europawahl nächstes Jahr. Die selbsterklärten Zerstörer der EU und die Feinde einer liberalen Demokratie warten nur auf weitere Bilder, wie aktuell aus Lampedusa.

NRW-Bürgermeister und Landräte warnen seit Monaten: Bei über 220.000 Asylanträgen in Deutschland allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres, fehlt mittlerweile in vielen Kommunen schlicht der Platz für die Neuankömmlinge. Auch wenn das die deutsche Innenministerin Faeser nicht wahrhaben will: Joachim Gauck hat Recht, wir brauchen dringend eine politische Begrenzungsstrategie.

Deshalb kennt auch Menschlichkeit gegenüber irregulären Migranten zwangsläufig Grenzen. Auch wenn ich mir das in einer Idealwelt ganz anders wünschen würde.

Macht es Dänemark besser?

Ich weiß noch, wie verblüfft ich in meiner Brüsseler Korrespondentenzeit war, als mir Bekannte 2016 von ihren Urlaubsfahrten nach Dänemark berichteten. Sie alle waren an der Grenze kontrolliert worden. Das Europa der offenen Grenzen und die Reisefreiheit im Schengenraum endete offenbar kurz hinter Flensburg.

Nachfragen bei der EU-Kommission ergaben: Dänemark beruft sich seit Jahren auf eine Regelung, die in Ausnahmesituationen zeitlich befristete Grenzkontrollen erlaubt. Zum Beispiel bei Gefahr durch irreguläre Einwanderung. Da die Gefahr weiter anhält, gibt es auch heute weiter sporadische Grenzkontrollen auf dänischer Seite.

Dänische Flüchtlingspolitik gibt Rechtspartei Dämpfer

Im Gegensatz zu Kanzler Scholz und Bundesinnenministerin Faeser nimmt die dänische sozialdemokratische Regierung die "Wir schaffen es nicht"-Sorgen der Bevölkerung ernst.

Mit doppeltem Erfolg: Die Zahl der Asylbewerber ist in Dänemark deutlich gesunken. Das traditionell sehr flüchtlingsfreundliche Land gehörte noch 2015 zu den fünf EU-Ländern mit den meisten Asylbewerbern. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Zum Vergleich: Die Zahl der Asylanträge lag letztes Jahr in Deutschland bei mehr als 217.000. In Dänemark bei 4.600.

Mit Flüchtlingen belegte Turnhallen gibt es in Dänemark nicht. Prompt spielen dort auch Rechtsradikale kaum noch eine Rolle. 2015 lag die rechte Volkspartei bei 21 Prozent. Mittlerweile kommt sie gerade noch auf 2,6 Prozent.

In Dänemark gibt es auch mehr Integrationsdruck. Die Kinder von Asylbewerbern müssen vom ersten Lebensjahr an dänisch lernen. Der Kita-Besuch ist in Wohnvierteln mit hohem Ausländeranteil Pflicht. Sonst werden Sozialleistungen massiv gekürzt.

Deutschland muss Migranten abschrecken - aber wie?

Aktuelle Versuche, Migration zu begrenzen, sind nur bedingt erfolgreich! Rücknahmeabkommen: vergesst es! Welche Länder nehmen in nennenswerter Zahl Migranten zurück? Grenzschutz? Egal wie intensiv wir unsere Außengrenzen überwachen: Die Netzwerke der Schleuser finden einen Weg, ob über das mörderische Mittelmeer, die Ägäis oder über Weißrussland. Die Idee einer rundum gesicherten "Festung Europa" ist lächerlich.

Für mich steht fest: Wir brauchen einen Deutschland-Pakt zur Flüchtlingskrise. Einen runden Tisch zwischen Grünen, SPD, FDP, CDU und mit möglichst vielen Landräten und Bürgermeistern. Gerne moderiert von Joachim Gauck! Und mit dem dänischen Integrationsminister als Gast und Diskussionspartner.

Mit ihm könnten wir diskutieren, wie wir zum Beispiel mit Flüchtlingen umgehen, die in Abschiebehaft sitzen, aber von ihren Heimatländern nicht zurückgenommen werden. Er könnte darüber informieren, warum und mit welchen Folgen Dänemark für diese Abschiebehäftlinge ein Gefängnis im Kosovo angemietet hat.

Ist das einer der möglichen Spielräume, von denen Gauck spricht? Vor dem Hintergrund, dass es Aufnahme-Stopps in mehreren deutschen Gefängnissen gibt, halte ich das für eine legitime Frage.

Indiskutabel ist hingegen für mich der dänische Plan, Migranten und selbst anerkannte Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben. Das Land wird von einem Präsidenten beherrscht, der unter Mordverdacht steht und die Opposition und andere Regierungskritiker gnadenlos verfolgt.

Der Grundgedanke der Sozialdemokraten in Kopenhagen ist aber völlig richtig: Es gibt zwar einen Anspruch auf Asyl, aber keinen unbegrenzten Anspruch auf Asyl in der EU. Und schon gar keinen unbegrenzten Anspruch auf Asyl in den EU-Staaten mit den höchsten Sozialleistungen, wie Dänemark, Schweden, Frankreich oder Deutschland. Ohne irgendeine Form der Obergrenze wird es nicht gehen.

Die neuen Maßnahmen werden wenig menschlich sein

Zum Teil gibt es auch jetzt schon unmenschliche Maßnahmen, das haben wir nur verdrängt: Denn bereits jetzt finanzieren wir Erdogans Zäune mit Selbstschussanlagen an der Grenze zu Syrien. Grenzzäune wie zu schlimmsten DDR-Zeiten. Um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Das ist seit 2016 die traurige und gern verdrängte Realität, lieber Joachim Gauck. Sie wissen es als Ex-DDR-Bürger am besten: Selbstschussanlagen sind das krasse Gegenteil von Menschlichkeit.

Auch die neuen Spielräume, die Sie fordern, werden wenig human sein. So viel Ehrlichkeit muss sein, auch wenn sie wenig präsidial klingt. Aber wir haben keine Wahl! Wenn wir jetzt nicht schnell handeln, treiben wir Deutschland und die EU in die Hände der Rechtsradikalen. Dann werden wir Fremde im eigenen Land. Und die anerkannten Asylbewerber erst recht.

Das Beispiel Dänemark zeigt: Es gibt aus der ungebremsten Massenmigration einen Ausweg. Allerdings keinen mit völlig gutem Gewissen.

Was denken Sie? Braucht Deutschland oder die EU eine Obergrenze für Flüchtlinge? Welche Maßnahmen sind nötig, um Kommunen zu entlasten? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Regina Prüfer 28.09.2023, 22:55 Uhr

    Wir wohnen in einem kleinen Dorf an der polnischen Grenze. Jeden Tag kommen hunderte Flüchtlinge über unseren Grenzübergang nach Deutschland. Das erste was sie machen ist sich am Grenzpfahl zu fotografieren um zu zeigen seht her wir haben es geschafft. Alles junge Männer. Im Wald liegt alles voller weggeschmissener Sachen. Schuhe Rucksäcke Anziehsachen. Sie werden ja sofort neu eingekleidet. Einer klingelte sogar bei einem Bewohner und wollte das WLAN Passwort weil bei uns kein Empfang ist. Die Polizei ist überfordert überall Blaulicht. Und das schon seit Monaten. Wir werden alleine gelassen

  • Anonym 28.09.2023, 22:21 Uhr

    Ich möchte zu Bedenken geben, dass der angestrebte Kurs den Ruf Deutschlands und der EU und insbesondere unserer Demokratie in den Herkunftsländern mit Absicht schlecht macht. Das kommt dort natürlich längst an. Man kann auch bereits sehen, dass sich diese Länder auch aus anderen Gründen nach anderen Bündnissen umschauen. Verständlich. Diese Herkunftsländer haben oft Rohstoffe, die EU-Länder dringend benötigen und aufgrund alter Bündnisse sehr (wahrscheinlich zu) günstig erhalten. Unsere Abschottung wird langfristig m.E. nicht unser Vorteil sein. Und ich kann es verstehen.

  • Waltraut 28.09.2023, 21:03 Uhr

    Das versteht doch kaum ein Deutscher Bürger mehr. So dumm können unsere Politiker doch gar nicht sein. Die müssen doch mitkriegen das es gewaltig brodelt. Egal mit wem ich spreche. Wirklich jeder wünscht sich weniger Asylbewerber in Deutschland. Die Deutschen arbeiten am besten bis 70 und fallen dann tot in die Kiste und unsere neuen Mitbewohner hängen in der Stadt rum, das neueste Handy in der Hand und haben nichts zu tun außer rum zu lungern. Warum können sie nicht wenigstens Müll und Unkraut entsorgen. Für Oma einkaufen gehen, im Altenheim Betten beziehen usw. Es gibt genug zu tun. Aber warum auch? Es gibt im deutschen Land ja alles geschenkt von Bürgern die hart arbeiten und fleißig Steuern zahlen. Aber unsere feinen Politiker in ihren Villen brauchen sich ja keine Sorgen machen. Die haben ja ausgesorgt. Das gibt hier noch richtig Krawall. Aber dann sind wir wieder die Nazis. Und wer hat Schuld? Unsere Politiker, weil sie nichts auf die Reihe kriegen.