Digital Services Act: Mehr Sicherheit im Netz?

Stand: 25.08.2023, 14:26 Uhr

Der "Digital Services Act" soll seit Freitag EU-weit für mehr Sicherheit im Internet sorgen - von der Hassrede bis zu dubiosen Kaufartikeln. Facebook, Google und vielen anderen drohen bei Verstößen saftige Geldstrafen.

Von Nina Magoley

Zunächst gilt der "Digital Services Act" für "sehr große" Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzern im Monat. Ab dem 17. Februar 2024 soll das "Gesetz über digitale Dienste", wie es auf Deutsch heißt, auch für kleinere Digitalunternehmen gelten.

Worum geht es bei dem Gesetz?

Kurz gesagt: Das Internet soll sicherer werden. Im Fokus stehen illegale Inhalte auf Plattformen und in den Sozialen Medien - also beispielsweise Hassrede oder strafbare Social-Media-Inhalte -, aber auch Tricks, mit denen Onlinehändler Nutzer zu Käufen animieren wollen - durch personalisierte Werbeanzeigen oder sogenannte "dark patterns". Wenn beispielsweise ständig Anzeigen für Schuhe aufpoppen, nachdem man einmal ein bestimmtes Modell im Internet gesucht hat. Plattformen müssen künftig transparent machen, warum das so geschieht. Außerdem geht es um die Erkennung gefälschter Produkte, die zum Kauf angeboten werden.

Wen betrifft das neue Gesetz?

Die neuen Vorschriften betreffen alle, die ihre Dienste innerhalb Europas anbieten - egal, wo sie ihren eigentlichen Sitz haben. Dazu gehören Online-Marktplätze, App-Stores und Social-Media-Plattformen.

Zunächst sind "sehr große" Anbieter betroffen, denn aus Sicht der EU geht von ihnen ein besonderes Risiko für die Gesellschaft aus. Dazu zählen etwa X (früher Twitter), Facebook, Instagram, Tiktok und mehrere Google-Dienste, aber auch Zalando, Wikipedia, Booking.com, der Amazon-Marketplace und der App-Store von Apple. Sie alle hatten vier Monate Zeit, die Vorgaben der EU umzusetzen.

Was müssen Online-Anbieter jetzt tun?

Plattformen wie beispielsweise Snapchat oder Youtube müssen illegale Beiträge löschen und prüfen, ob ihr Angebot zuverlässige Filter enthält, Cybergewalt fördert, die Meinungsfreiheit untergräbt oder sich ihr Algorithmus negativ auf die menschliche Psyche auswirkt. Alle sechs Monate sollen sie der EU-Kommission detailliert Bericht erstatten.

Außerdem müssen die Onlinedienste offenlegen, welche Daten sie für personalisierte Werbung nutzen. Nutzerinnen und Nutzer sollen sehen können, mit welchen Einstellungen Werbung auf sie angepasst wird und wer die Anzeigen finanziert. Dafür können Plattformen beispielsweise eine Datenbank führen, in der sie alle in der EU geschalteten Anzeigen hinterlegen. Besonders sensible Daten wie sexuelle Orientierung, politische Einstellung und Religionszugehörigkeit dürfen nicht für gezielte Werbung genutzt werden.

Kontrolliert werden die Betreiber von der EU-Kommission.

Was passiert bei Verstößen?

Dem jeweiligen Unternehmen drohen dann Strafen in Milliardenhöhe: bis zu sechs Prozent des globalen Umsatzes. Für den Onlineriesen Amazon wären das mehr als 28 Milliarden Euro, gemessen am Umsatz des vergangenen Jahres. Als letztes Mittel kann die EU-Kommission einen Onlinedienst unter dem neuen Gesetz sogar sperren.

Das ändert sich konkret für Nutzer:

  • Wer Hassrede oder Falschinformationen postet, muss damit rechnen, dass solche Inhalte zuverlässiger entdeckt und gelöscht werden als bisher - oder dass sein Profil ganz gesperrt wird.
  • Das Melden von illegalen Inhalten wie Hassrede, Gewaltaufrufe oder Terrorpropaganda soll einfacher werden.
  • Wer keine personalisierten Inhalte oder Werbeanzeigen beispielsweise auf Tiktok oder Instagram erhalten möchte, kann diesen Algorithmus künftig ausschalten.
  • Wer im Internet einkauft, soll künftig zum Beispiel vor Produktfälschungen geschützt werden. Gefälschte Jeans, Handtaschen, Digitalkameras oder Uhren soll es im Netz nicht mehr geben. Dafür sollen Anbieter wie Amazon die Verantwortung tragen.
  • Die Angaben religiöser, politischer oder sexueller Ansichten im Netz dürfen nicht mehr für gezielte Werbung genutzt werden.
  • Außerdem werden sogenannte "Dark Patterns" verboten. Gemeint sind Methoden, die Nutzerinnen und Nutzer zu ungewollten Käufen oder Datenpreisgaben bringen sollen.

Wie reagieren die Unternehmen?

Bei den betroffenen "sehr großen" Unternehmen sei Aktivität zu beobachten, sagt Stefan Dreyer, Experte für Medienrecht und Media Governance am Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg: Sie hätten durchweg "drei- bis vierstellige Teams" abgestellt, um sich auf die neuen Vorschriften vorzubereiten. Wie gut diese künftig umgesetzt werden, könne sich spätestens in sechs Monaten zeigen. Dann sind laut DSA die ersten Transparenzberichte der Unternehmen fällig.

Auch die EU-Kommission, die die Unternehmen proaktiv kontrollieren soll, habe für den Aufbau eines entsprechenden Teams viel Geld erhalten. Unternehmen mit weniger als 45 Millionen Nutzern seien dagegen erst bei den Vorbereitungen - für sie gilt der DSA erst ab Februar 2024.

Amazon und Zalando haben Klagen gegen das neue Gesetz eingereicht. Sie sehen sich zu Unrecht als "sehr große Online-Plattformen" eingestuft und argumentieren, dass die Regeln für sie als Händler nicht gelten sollten. Sie wollen erst aktiv werden, wenn ihre Klage scheitert.

Wie erfolgversprechend ist der DSA?

Die neue Verordnung der EU sei schon ambitioniert, sagt Stefan Dreyer. Alleine angesichts der Menge an Forderungen, von der Ansprechbarkeit der Unternehmen bis zum Jugendschutz. Immerhin: "Die EU versucht, einen umfassenden Rechtsrahmen zu schaffen, den es so bislang nicht gibt."

Gab es hierzulande nicht schon das NetzDG?

Eigentlich gibt es mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) schon seit Oktober 2017 eine Verordnung in Deutschland, die Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte auf den Plattformen sozialer Netzwerke bekämpfen soll.

Anbieter sind demnach verpflichtet, rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Laut dem Jahresbericht 2022 der "Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter" (FSM) meldeten die Anbieter Facebook, Instagram und YouTube im Jahr 2022 gerade mal 98 Fälle an das NetzDG-Prüfgremium. 35 davon seien als rechtswidrig bewertet worden - wegen "Äußerungsdelikten", Volksverhetzung oder der Verwendung verbotener Kennzeichen. Gleichzeitig meldeten Beobachter in den letzten Jahren aber immer wieder eine deutliche Zunahme von Hassrede im Internet.

Stefan Dreyer, der selber im FSM-Prüfungsgremium saß, beschreibt die Schwierigkeiten des bisherigen NetzDGs: Gemeldet worden wären lediglich die Fälle, bei denen sich die Anbieter unsicher waren, ob sie rechtswidrig seien. Das Problem beim Begriff Hassrede sei, dass Menschen in den Sozialen Medien "kübelweise Unschönes ausschütten können, was aber im Einzelnen rechtlich oft nicht greifbar ist".

Welche Verordnung gilt künftig?

Nach dem Start des DSA sei die Bundesregierung nun gezwungen, das NetzDG abzuschaffen, sagt Dreyer - beide Verordnungen können nicht gleichzeitig angewendet werden.

Während das NetzDG die Anbieter verpflichtete, rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen, gibt das DSA keine Zeitvorgabe. "Man kann ahnen, dass die Reaktionszeiten der Anbieter künftig länger sein werden," meint Dreyer.

Ein weiterer wichtiger Unterschied: Das - durchaus umstrittene - NetzDG verpflichtet auch weltweite Anbieter, eine Adresse in Deutschland zu haben. Bei eventuellen gerichtlichen Anweisungen gab es also auch für Facebook oder Google einen Zustelladresse. In Zukunft müssten solche Anordnungen dann zum Beispiel nach Irland geschickt werden - "das ist dann eventuell nicht mehr so einfach".

Mit Material der Agenturen DPA und AFP.

Amazon muss gefälschte Produkte rausnehmen WDR aktuell 25.08.2023 09:09 Min. Verfügbar bis 25.08.2025 WDR Von Alexander Roettig