Als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke von Mannheim will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen. "Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen", sagte er am Donnerstag im Bundestag. "Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren."
Der Kanzler argumentierte, dass bei Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer wiege als das Schutzinteresse des Täters.
Wie will Scholz seinen Plan umsetzen?
Wie er das genau ermöglichen will, sagte der Kanzler in seiner Regierungserklärung am Donnerstag nicht. Das Bundesinnenministerium arbeite an der praktischen Umsetzung und sei bereits mit den Nachbarländern Afghanistans im Gespräch.
Man werde auch nicht länger dulden, wenn terroristische Straftaten verherrlicht und gefeiert würden. "Deshalb werden wir unsere Ausweisungsregelungen so verschärfen, dass aus der Bildung terroristischer Straftaten ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse folgt", sagte der Kanzler.
Wie sieht die aktuelle Praxis aus?
Seit der Machtübernahme durch die radikal-islamistische Taliban in Kabul im August 2021 schiebt Deutschland niemanden mehr nach Afghanistan ab.
Schon in der Zeit davor hatte man sich wegen der damals schon schwierigen Sicherheitslage darauf verständigt, nur Männer - und vor allem Straftäter und sogenannte Terror-Gefährder - zwangsweise nach Kabul zurückzubringen. Scholz will jetzt zu dieser Regelung zurückkehren.
Auch Syrien gilt nicht als sicheres Herkunftsland. Als sicheren Herkunftsstaat definiert das Gesetz Länder, in denen keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und der Staat vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann.
Grundsätzlich werden ausländische und deutsche Straftäter gleich behandelt: Alle Menschen, die in Deutschland gegen das Gesetz verstoßen, müssen sich hier vor Gericht verantworten und die mögliche Gefängnisstrafe absitzen. Erst nach der Strafe droht ausländischen Straftätern die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Dafür muss geprüft werden, ob das Abschieben in das Herkunftsland auch rechtlich und faktisch möglich ist.
Soll direkt nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden?
Das soll offenbar nicht geschehen. Denn für eine Abschiebung dorthin per Flugzeug wäre eine Zusammenarbeit mit den Taliban-Machthabern in Kabul oder der für schlimmste Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nötig.
Wie Scholz in seiner Rede sagte, wird deswegen nun die Rückführung über Nachbarstaaten geprüft.
Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Umsetzung der Pläne?
Obwohl die gesetzlichen Hürden für die Abschiebung derer, von denen eine potenzielle Gefahr ausgeht, niedriger sind als bei anderen Ausreisepflichtigen, gibt es rechtliche und praktische Schwierigkeiten.
Die Grünen im Bundestag halten zum Beispiel die Abschiebung von afghanischen Straftätern für schwer umsetzbar. "Wie soll man das machen?", fragte Fraktionschefin Britta Haßelmann am Donnerstag in ihrer Antwort auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag.
Es sei für die Grünen zwar klar: "Menschen, die schwere Straftaten begehen, müssen nach Verbüßung der Strafe abgeschoben werden." Doch Haßelmann bezweifelte, dass man mit den in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban über ein Abschiebeabkommen verhandeln könne.
"Auch wird zu klären sein und zu prüfen sein, für welches Drittland es attraktiv sein soll, Terroristen oder schwere Straftäter aufzunehmen. Bin gespannt darauf, welche Antworten wir darauf finden", sagte sie. Einfache Antworten werde es jedenfalls nicht geben.
Welche Hindernisse gibt es bei Abschiebungen in unsichere Herkunftsländer?
Dabei müsse man zwei Gruppen unterscheiden, sagte Professor Daniel Thym, Leiter des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht an der Uni Konstanz, am Mittwoch dem ZDF.
Zum einen kämen aus Ländern wie Afghanistan und Syrien Menschen, die verfolgt würden. Dazu gehörten Frauen und Oppositionelle. Selbst wenn jemand aus dieser Gruppe einen Terrorakt begehe - wenn er in seinem Heimatland potenziell bedroht werde, dürfe er nicht abgeschoben werden, sagte Thym. Das gelte ungefähr für die Hälfte der Leute, die aus den betroffenen Ländern kommen.
Daneben gebe es eine zweite Gruppe. Die dürfe abgeschoben werden. Allerdings komme es sehr auf die Verhältnisse im Einzelfall an. Ein Grund, warum zum Beispiel junge Männer, die nicht verfolgt werden, Schutz in Deutschland bekämen und nicht zurückgeschickt würden, seien die extrem schlimmen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Welchen Spielraum hat die Politik beim Abschieben in unsichere Herkunftsländer?
In Deutschland entscheiden das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Gerichte, ob Voraussetzungen für eine Abschiebung gegeben sind, wie Professor Daniel Thym, Leiter des Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht an der Uni Konstanz, am Mittwoch im ZDF erklärte.
Abschiebungen in den Irak seien rechtlich auch schwierig, sie fänden aber statt. Das geschehe dann, wenn Behörden in konkreten Einzelfällen Gerichten die Tatsachen vortrügen und durch sie die Voraussetzung für eine Abschiebung erfüllt seien, so Thym. So könne man versuchen, die Grenzen des Rechts und der Rechtsprechung auszutesten.
Wie geht es weiter?
Die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern hatte bereits im vergangenen Dezember bemängelt, dass schwere Straftäter und Gefährder aus Staaten wie Syrien und Afghanistan nicht in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben werden können. Sie bat das Bundesinnenministerium, bis zur IMK-Frühjahrssitzung am 19. Juni nach Auswegen zu suchen. Dann sollen Ergebnisse vorgelegt werden.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur DPA
- Liste der sicheren Herkunftsstaaten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)
- Asylrechtler Daniel Thym im ZDF
- tagesschau.de