Gegen das „die da oben“ Gefühl: Bürgerrat will Brücken bauen Aktuelle Stunde 21.07.2023 25:56 Min. UT Verfügbar bis 21.07.2025 WDR

Bürgerrat des Bundestages ausgelost: "Kann Demokratie bereichern"

Stand: 21.07.2023, 16:40 Uhr

Wer gehört zu den 160 Mitgliedern des ersten Bürgerrats des Bundestages? Das wurde heute per Los entschieden. Der Bürgerrat soll Vorschläge zur "Ernährung im Wandel" erarbeiten.

"Unsere parlamentarische Demokratie braucht frische Ansätze, um das Vertrauen zu stärken", sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Freitag und eröffnete damit die Ziehung der 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Bürgerrates des Bundestages. Er soll Vorschläge zur "Ernährung im Wandel" erarbeiten.

Bei der Auslosung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollte vor allem darauf geachtet werden, dass Menschen verschiedenen Geschlechts und Alters, mit unterschiedlicher regionaler Herkunft, Bildungshintergrund und Essgewohnheiten vertreten sind. So sollen auch Vegetarier und Veganerinnen dem Rat angehören. Das Mindestalter liegt bei 16 Jahren.

Bei der "Bürgerlotterie" am Freitag wurden allerdings nicht 160 Menschen einzeln gezogen, sondern das Los entschied über eine im Vorfeld zufällig zusammengestellte Gruppe. So sind im neuen Bürgerrat mit der Nummer 187 beispielsweise 10,6 Prozent der Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren, 29,4 Prozent zwischen 25 und 44 Jahren, 26,2 Prozent zwischen 45 und 64 Jahren und 33,8 Prozent über 65 Jahre alt.

Worum geht es bei dem Bürgerrat?

Die drei Ampel-Parteien hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, "neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte" zu nutzen. Ziel ist es, einer Entfremdung von Bürgern und Politik entgegenzuwirken und zur Versachlichung kontroverser Debatten beizutragen.

Wieso ist Ernährung Thema des Bürgerrats?

Der Bürgerrat beschäftigt sich mit "Ernährung im Wandel" | Bildquelle: dpa / Daniel Karmann

Ernährung ist ein Thema, das viele Menschen umtreibt und in ihrem Alltagsleben betrifft - daher entschieden sich die Regierungsfraktionen hierfür. Der Bürgerrat wurde im vergangenen Mai per Parlamentsbeschluss eingesetzt, der Titel "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben".

Worüber soll konkret diskutiert werden?

Der Bürgerrat soll sich unter anderem damit beschäftigen, wo der Staat beim Thema Ernährung aktiv werden soll, welche Kennzeichnung von Lebensmitteln wünschenswert wäre und was gegen Lebensmittelverschwendung getan werden kann.

Der Rat soll sich dazu äußern, was "zu einer transparenten Kennzeichnung von sozialen Bedingungen, von Umwelt- und Klimaverträglichkeit und von Tierwohlstandards" auf Lebensmitteln gehört. Erörtert werden soll auch, wie die Bevölkerung "bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt" werden kann und welchen "steuerlichen Rahmen" der Staat für die "Preisbildung von Lebensmitteln" setzen sollte. Auch Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung stehen auf der Agenda.

Wie wurden die Mitglieder ausgewählt?

Bundestagspräsidentin Bas hatte Mitte Juni knapp 20.000 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus 82 ebenfalls per Zufall bestimmten Gemeinden zur Teilnahme eingeladen. Gut 2.000 zeigten Interesse. Ein Algorithmus ermittelte 1.000 mögliche Zusammensetzungen des Bürgerrates, die den vorgegebenen Kriterien entsprechen. Diese sind geografische Herkunft, Geschlecht, Alter, Gemeindegröße und Bildungsstand. Bas zog dann am Freitag aus diesen Varianten die Gruppe mit der Nummer 187.

Ist es der erste Bürgerrat?

Zumindest der erste, der durch den Bundestag eingesetzt wurde. In der vergangenen Legislaturperiode hatte es bereits einen Bürgerrat zum Thema Außenpolitik unter Schirmherrschaft des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) gegeben. Dieses Projekt wurde aber von einem Verein organisiert.

Auf Bundes- und Landesebene sowie in den Kommunen gab es in den vergangenen Jahren über 60 Bürgerräte.

Von wann bis wann soll der Bürgerrat tagen?

Der Bürgerrat beginnt am 29. September 2023 mit einer feierlichen Eröffnung. Vorgesehen sind insgesamt drei Wochenendsitzungen in Präsenz. Hinzu kommen sechs digitale Abendveranstaltungen. Der Bürgerrat soll seine Gespräche bis zum 29. Februar 2024 abschließen.

Was kostet der Bürgerrat?

Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten eine Aufwandspauschale von 100 Euro pro Sitzungstag in Präsenz und 50 Euro pro Sitzung in digitaler Form. Hotelkosten werden übernommen. Hinzu kommen Kosten für eine Stabsstelle Bürgerrat und einen externen Dienstleister. Die Gesamtkosten lassen sich laut Bundestag bisher noch nicht genau beziffern. Im Haushalt 2023 sind maximal drei Millionen Euro für den Bürgerrat vorgesehen.

Was passiert mit den Ergebnissen?

Der Bürgerrat erarbeitet ein Gutachten mit konkreten Handlungsempfehlungen. "Diese fließen in die parlamentarischen Beratungen ein", erklärt der Bundestag. Eine Pflicht zur Berücksichtigung gibt es aber nicht: "Was umgesetzt wird und was nicht, entscheiden am Ende aber allein die Mitglieder des Deutschen Bundestages."

Was kritisiert die Opposition?

In der Union gibt es die Befürchtung, dass das Vorhaben "die Bedeutung von Parlamenten unterminiert", wie die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann im Mai sagte. Auch der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor warnte diese Woche, legitime Bemühungen um mehr Bürgerbeteiligung dürften "nicht zu einer fortschreitenden Erosion des Konzepts der repräsentativen Demokratie führen".