Es begann mit einer Schmiererei an Weihnachten und wurde im Januar 1960 zu einer "Hakenkreuzwelle" in BRD und DDR. Wie viele Nazi-Gedankengut hatte in der Nachkriegszeit überlebt?
Druck aus dem Ausland, Angst vor einem Imageschaden der BRD: Konrad Adenauer verurteilt vehement die antisemitischen Parolen, die Anfang 1960 überall auftauchen. Zugleich verkennt er den strukturellen Judenhass hinter der Hakenkreuzwelle und spricht von "Flegeleien" einzelner. Dennoch verbietet die Bundesregierung in der Folge eine Reihe rechtsextremer Gruppen, darunter den "Bund Nationaler Studenten". *** Das ist unser wichtigster Gesprächspartner: Gideon Botsch, Professor für Politikwissenschaft, Universität Potsdam ***
- wie zwei 25-Jährige die neue jüdische Synagoge in Köln mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen in der Weihnachtsnacht 1959 beschmieren,
- dass es in der Folge in ganz Deutschland zu judenfeindlichen Aktionen kommt,
- woraufhin Konrad Adenauer aufruft: "Wenn ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, vollzieht die Strafe auf der Stelle und gebt ihnen einen Tracht Prügel, das ist die Strafe die er verdient",
- wie die Gegenproteste gegen die "Hakenkreuzwelle" zum ersten Mal die Positionen von früheren Nationalsozialisten in Staat und Verwaltung thematisieren.
Keine 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs: Anfang 1960 sind Nazi-Symbole und antisemitische Schmierereien plötzlich überall – auf Mauern, Werbetafeln, Gebäuden, Wohnungstüren und S-Bahnen. Willy Brandt, damals Bürgermeister von Berlin, verspricht: "Wir werden neonazistische Gruppen in Berlin sich nicht entfalten lassen." Als Zeichen gehen in Berlin 40.000 zumeist junge Menschen gegen Antisemitismus, NS-Verherrlichung und Rassenhass auf die Straße.
Auch die Justiz greift schnell und hart durch. Die Kölner Synagogenschänder und andere Täter werden zu Haftstrafen verurteilt. Und wenige Monate nach den Anschlägen verabschiedet der Bundestag ein Gesetz, das Volksverhetzung unter Strafe stellt. Der Nationalsozialismus wird Schulstoff. Die Hakenkreuzwelle beschleunigt letztlich den Diskurs über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus.
Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
- Gideon Botsch, Professor für Politikwissenschaft, Universität Potsdam
- Gideon Botsch: Die "Hakenkreuzschmierwelle" 1960 und das Verbot des Bundes Nationaler Studenten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (2017)
- Gideon Botsch/Friedrich Burschel/Christoph Kopke/Felix Korsch (Hg.): Rechte Ränder. Faschismus, Gesellschaft und Staat, Berlin 2023
- Ronen Steinke: Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage. Berlin 2020
Weiterführende Links:
- Antisemitismus: Hakenkreuze und Hitlergruß (Der Spiegel)
- Synagogen-Schändung: Die Nacht von Köln (Der Spiegel)
- Michael Becker / Gottfried Oy / Christoph Schneider: Die Welle als Muster. Sechs Thesen zur anhaltenden Bedeutung der "antisemitischen Welle" 1959/1960 (Universität Duisburg-Essen)
- Marc-Simon Lengowski: Die antisemitische Welle 1959/1960 (Geschichtsbuch.Hamburg)
Unser Hörtipp: Die neue Staffel Iron East. Es geht um die Musikrichtung Heavy Metal in Ostdeutschland. Diesmal geht es um die Zeit nach dem Mauerfall und wie sich der Ost-Metal entwickelt hat.
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Autorin: Traudl Bünger
Redaktion: David Rother
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