"Sich fügen heißt lügen" von Henning Venske

Stand: 04.07.2024, 07:00 Uhr

Der Kabarettist Henning Venske holt mit einem spannenden Hörbuch den Dichter Erich Mühsam in unsere Gegenwart. Das ist klug, unterhaltsam und sehr aktuell. Eine Rezension von Christian Kosfeld.

Henning Venske: Sich fügen heißt lügen (Hörbuch)
Henning Venske liest Erich Mühsam.
Goya Lit, 2024.
Download (Laufzeit ca. 100 Minuten), 10 Euro.

"Sich fügen heißt lügen" von Henning Venske Lesestoff – neue Bücher 04.07.2024 05:27 Min. Verfügbar bis 04.07.2025 WDR Online Von Christian Kosfeld

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"Erich Mühsam war ein anarchistischer Dichter, den deutsche Nazis ermordeten, und dessen Bücher sie verbrannten. Erich Mühsam war den Nazis, aber auch allen anderen Anhängern eines deutschen Obrigkeitsstaates als Jude verhasst, als Antifaschist, als Dichter des Klassenkampfes, als geistiger Anführer der Münchener Räterepublik, und verhasst war er ihnen vor allem, weil er bis zuletzt an der Utopie einer befreiten Menschheit festhielt."

Henning. Venske zeichnete Erich Mühsams Lebensweg nach. Erich Mühsam wurde 1878 in Berlin geboren, wuchs in Lübeck auf. Früh wandte er sich gegen alles Autoritäre, wurde Anarchist, Aktivist und Schriftsteller.

"Nolo will ich mich nennen – Nolo: Ich will nicht! [...] Nein, ich will nicht mehr all die unnötigen Leiden sehn, deren die Welt so übervoll ist [...]. Ich will nicht mehr mit ansehen, wie ungerecht und chaotisch des Lebens höchste Güter – Kunst und Wissen, Arbeit und Genuss, Liebe und Erkenntnis – verstreut liegen. Ich will nicht mehr – nolo!"

Mühsam lebte ab 1901 in Berlin, arbeitet bei einer anarchistischen Zeitung. Mit seinem Lebenspartner Johannes Nohl zog er jahrelang durch Europa, nach Zürich, Ascona, Norditalien, München, Wien und Paris. Zumeist in schwarz gekleidet, mit Bart, Brille und Strubbelmähne traf der bekannte Bohemien auf Joachim Ringelnatz und Heinrich Zille, Hermann Hesse, Frank Wedekind, Kurt Tucholsky.

Er schrieb und illustrierte politische Manifeste, aber auch absurd-komische Erzählungen und Lieder, etwa eine "Elephantengeschichte für artige Kinder" oder das Buch zur "Psychologie der Erbtante". Mühsam setzte sich aber auch für politisch Unterdrückte und sozial Benachteiligte ein und er agitierte gegen den Krieg.

"Was ist der Mensch? [...] Ein Magen, zwei Arme, ein kleines Hirn und ein großer Mund, und eine Seele – daß Gott erbarme! Was muss der Mensch? Muss schlafen und denken, muss essen und feilschen und Karren lenken, muss wuchern mit seinem halben Pfund. Muss beten und lieben und fluchen und hassen, muss hoffen und muss sein Glück verpassen – und leiden wie ein geschundner Hund."

Nach seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik wurde er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, 1924 allerdings wieder frei gelassen. Danach veröffentlichte er satirisch-politische Texte.

In jeder Sekunde dieses spannenden, informativen Hörbuchs ist Henning Venskes Begeisterung und Bewunderung für Erich Mühsam zu spüren. Er interpretiert engagiert, dann mit komischen Zwischentönen, oder zeigt Mühsams empfindsame Seite, wenn er von dessen Liebe zu Krenzentie Elfinger, genannt Zenzel erzählt.

"Er hatte ein Bilderbuch für Zenzl gemalt und er bittet um Verständnis, dass sie es auf Grund der Umstände nicht pünktlich zum Geburtstag bekommen hat. Und dann heißt es: Auf dreißig Blättern zeigt sich hier – So Mensch wie Vieh und Fabeltier – Mit weisen Sprüchen, bunt getuscht – teils wohlgelungen, teils verpfuscht. – Du aber, meine teure Frau – Besieh das Buch Dir ganz genau – Dann wird gewiss Dir offenbar, – Dass Liebe hier am Werke war. – Ich wünsche, dieser Liebe voll, – Was Dir dies Jahr bescheren soll: – Bleib mutig, stark, gesund und froh, – dann bleib ich’s nämlich ebenso."

In der Nacht auf den 28. Februar 1934 wurde Erich Mühsam verhaftet und nach Monaten der Haft im KZ Oranienburg ermordet. Henning Venske holt mit diesem spannenden Hörbuch Erich Mühsam in unsere Gegenwart, klug und unterhaltsam, und sehr aktuell.