"American Mother" von Colum McCann

Stand: 30.12.2024, 07:00 Uhr

Der Bestsellerautor Colum McCann und Diane Foley, die Mutter des ermordeten Journalisten James Foley, erzählen von Gewalt und Vergebung. "American Mother" ist das atemberaubende Zeugnis einer Frau, die nicht von Rache, sondern von Mitmenschlichkeit angetrieben wird. Eine Rezension von Holger Heimann.

Colum McCann mit Diane Foley: American Mother. Eine Geschichte von Hass und Vergebung
Aus dem Englischen übersetzt von Volker Oldenburg.
Rowohlt, 2024.
272 Seiten, 26 Euro.

WDR 3 Lesestoff: "American Mother" von Colum McCann Lesestoff – neue Bücher 30.12.2024 04:14 Min. Verfügbar bis 30.12.2025 WDR Online Von Holger Heimann

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Sieben Jahre nach der Enthauptung des US-amerikanischen Journalisten James Foley durch den IS in Syrien sitzt dessen Mutter Diane Foley 2021 in einem Gerichtsgebäude in der Nähe von Washington einem der Täter gegenüber. Dem Briten Alexanda Kotey werden Entführung, Folter und der Mord an vier Menschen zur Last gelegt. Er ist einen Deal eingegangen und hat eingewilligt, sich mit den Angehörigen der Oper zu treffen. Aber warum tut sich Diane Foley das an – gegen den Rat ihrer Familie und ihrer Freunde? Rache ist es nicht, die sie antreibt. Sie will von ihrem Sohn erzählen, den sie Jim nennt. Und sie will herausfinden, was für ein Mensch Kotey ist, was ihn zum IS geführt und zum Verbrecher gemacht hat.

"'Was denkt Allah', fragt sie, 'über die Morde an Nichtkämpfenden?' – 'Wie lässt sich das mit den Lehren des Islams vereinen?' – 'Warum haben Sie sich Journalisten ausgesucht?' – 'Und warum Mitarbeiter von Hilfsorganisationen?'"

Drei Tage lang spricht Diane Foley mehrere Stunden mit dem Angeklagten. Der Schriftsteller Colum McCann hat sie begleitet. Entstanden ist ein ungewöhnliches Buch, das von Krieg, Grausamkeit und Trauer erzählt, vor allem aber von seelischer Größe. Alexanda Kotey gewinnt nur wenig an Kontur. Vielmehr bringt "American Mother" eine Frau näher, die nicht zuletzt aus ihrem katholischen Glauben eine enorme moralische Kraft und Energie gewinnt. Kotey ist beeindruckt vom Schmerz und vom Mut einer Mutter, bleibt aber in letzter Konsequenz bei seiner eigenen Erzählung. Er berichtet von den unschuldigen Opfern amerikanischer Raketenangriffe und zeichnet sich als Soldat im Krieg, in dem es keine Zeit gab, um innezuhalten und nachzudenken.

Diane Foley zweifelt immer wieder daran, ob es richtig war, sich auf das Gespräch einzulassen. Aber letztlich siegt ihre Mitmenschlichkeit, die Überzeugung, dass es notwendig ist, "Brücken zu bauen zu anderen Menschen", wie sie in einem Interview gesagt hat. Dianes Wut richtet sich weniger gegen den IS. Vielmehr klagt sie ihr Land an:

"Die Regierung hatte stets beteuert, Jims Befreiung habe oberste Priorität, doch wenn das wirklich stimmte, hätte Jims Gefangenschaft vermutlich nicht einmal zwei Monate und gewiss nicht zwei Jahre gedauert. Die europäischen Geiseln, mit Ausnahme der britischen, waren schließlich längst wieder auf freiem Fuß."

Abgesehen von den Treffen mit Kotey erzählt "American Mother" – im Stil eines Memoirs – aus der Ich-Perspektive von Diane. Diese schildert die Zeit der Unsicherheit und des Wartens auf ein Lebenszeichen von Jim. Sie berichtet davon, wie das FBI die Familie bedrängt, niemandem von der Entführung zu erzählen, und wie diese sich nach zwei Monaten dennoch dazu entschließt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Diane Foley erzählt von ihrem Sohn als einem idealistischen Wahrheitssucher und von der leidvollen Gefangenschaft, während der die Häftlinge ihren sadistischen Bewachern gänzlich ausgeliefert sind.

"Zu ihrem Ergötzen mussten die Gefangenen gegeneinander kämpfen. Wer sich weigerte mitzumachen, bekam Prügel. Die Gefangenen achteten darauf, den Gegner bei diesen Scheinkämpfen möglichst nicht zu verletzen. Sie versuchten durchzuhalten."

Drei Monate nach Jims Tod trifft Diane Foley den Präsidenten im Weißen Haus. Als Obama, der ihr kühl und distanziert gegenübertritt, mit der Aussage überrascht, Jim sei für ihn "oberste Priorität" gewesen, entgegnet Diane verärgert: "Vielleicht in Ihren Gedanken, aber nicht in Ihrem Herzen."

"Ein Feuer brannte in mir. Manche würden es vielleicht als Wut, Enttäuschung, Entschlossenheit oder sonst etwas bezeichnen, ich aber nenne es den Heiligen Geist, und er trieb mich vorwärts, verlieh mir die Kraft, meinen gerechten Zorn dazu zu nutzen, etwas zu bewegen."

Diane Foleys gerechter Zorn führt dazu, dass Obama eine Reform der amerikanischen Geiselpolitik veranlasst. Menschen wie Jim werden seither nicht mehr ihrem Schicksal überlassen. "American Mother" ist das atemberaubende Zeugnis einer scheinbar ganz gewöhnlichen Frau, die zu einer außerordentlichen inneren Stärke findet – angetrieben von dem Glauben, dass Verständigung möglich und Vergebung nötig ist. Zuletzt reicht Diane Foley dem Mörder ihres Sohnes die Hand mit den Worten: "Ich hoffe, Sie bekommen Frieden, Alexanda."