"Damenschach" von Finn Job

Stand: 16.09.2024, 07:00 Uhr

Showdown in der Luxus-Villa: Ein Zwillingspaar, dessen einer Teil von einer Frau zu einem Mann geworden ist, fällt am 50. Geburtstag übereinander her. Finn Jobs "Damenschach" ist eine satirische, äußerst zeitgeistige – und köstliche – Konversations-Komödie. Eine Rezension von Dirk Fuhrig.

Finn Job: Damenschach
Wagenbach, 2024.
176 Seiten, 22 Euro.

"Damenschach" von Finn Job Lesestoff – neue Bücher 16.09.2024 05:22 Min. Verfügbar bis 16.09.2025 WDR Online Von Dirk Fuhrig

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Marie-Louise feiert ihren 50. Geburtstag. Sie wohnt allein in einem riesigen Haus, das ihr jüngst verstorbener Gatte, ein international erfolgreicher Architekt, hat bauen lassen:

"Erst seitdem Thomas tot ist, ist dieses Haus ihr Haus, ihre Burg. Sie ist groß und weiß, ihre Burg, mit großen breiten Fenstern, flachen Dächern und hellen weiten Fluren, in die das Licht gedämpft von oben herabsickert."

Die Villa vor den Toren Wiens, vom geschmackssicheren Architekten puristisch eingerichtet, ist für die Witwe ein goldener Käfig. Sie rebelliert – mittels überflüssiger Lampen, Sofas und Küchengeräte, mit denen sie das Haus vollstellt – gegen das Design-Diktat des Verstorbenen, der alles im Geiste des Zeitgeists hat einrichten lassen.

"Frau Auer hatte dann immer mehr zu kaufen begonnen und so den schönen Minimalismus ihres Gatten allmählich aufgehoben."

Das Buch beginnt wie eine etwas abgedrehte Stilkritik am Lifestyle der gehobenen Stände. Zentraler Ort ist die "Kücheninsel", über die hinweg sich die Dame des Hauses mit ihrer – sowohl lebenspraktisch als auch philosophisch – hochgebildeten osteuropäischen Haushälterin Ivana ständig streitet.

Marie-Louise Auer – bei diesem Nachnamen darf man in diesem mit Anspielungen um sich werfenden Roman wohl durchaus an die "Eheleute Auersberger" aus Thomas Bernhards misanthropem Drama „Holzfällen“ denken. Marie-Louise, die vermögende Eremitin in ihrer einsamen "Burg", vertreibt sich ab und an die Zeit mit blutjungen Männern. Spießig ist sie also nicht. Mit den neueren Formen der Vielgeschlechtigkeit hat sie jedoch ein Problem.

"Heute wird sie ihre Zwillingsschwester wiedersehen, zum ersten Mal seit Jahren wird sie sie wiedersehen. Oder vielmehr, ihren Zwillingsbruder wird sie wiedersehen – wird ihn das erste Mal sehen. Sie wird in ihr eigenes Gesicht sehen, nur dass dieses Gesicht sich dazu entschlossen hat, ein Mann zu sein. […] ein richtiger, ein leibhaftiger Mann, dem ein Bart sprießt und der als Mann angesprochen werden will."

Marius, der Zwillingsbruder, platzt in die Kücheninsel-Arena wie eine feindliche Rakete. Sofort bekommen sich die Geschwister verbal – und zwischenzeitlich auch physisch – in die Haare. Assistiert von drei weiteren Personen, die in dieser schrillen Konversations-Komödie auftreten: Olivia, die junge Freundin des Transmanns Marius; David, ein Psychonalytiker; und die intellektuelle Haushälterin Ivana, die mit literarischen Zitaten aufwartet.

Es geht in diesem Schnellfeuerwerk der Dialoge um Ungerechtigkeiten in der Jugend, das Aufwachsen erst im noblen Hamburg-Blankenese und dann in einer Hippie-Kommune, um vermeintlichen sexuellen Missbrauch. Und immer wieder um die Gender-Diskurse der Gegenwart. Marius nimmt dabei die Rolle des sprachsensiblen Progressisten ein:

"Was ist so schwer daran, in einer Weise zu sprechen, die niemanden beleidigt und niemanden ausschließt? […] Letztlich spielt das keine Rolle, denkt er sich, denn er möchte in einer Welt leben, in der jeder und jede gleichermaßen angesprochen wird, in der alle respektvoll miteinander umgehen – das ist doch nicht zu viel verlangt."

In "Damenschach" persifliert Finn Job den hölzernen Theorie-Sprech meisterhaft. Doch es gibt in diesem perfekt inszenierten Kammerspiel, dessen Protagonisten sich nach und nach mit Champagner volllaufen lassen, keine eindeutige weltanschauliche Ausrichtung oder Stoßrichtung. Der Autor lässt seine Figuren lustvoll vor sich hin labern. Die überbordenden Wortgefechte erinnern stellenweise an die geistreichen Quasselorgien eines René Pollesch. Auch Yasmina Rezas erbarmungslose Beziehungsdramen scheinen bei diesem emotionalen Schlachtfest vor den Toren Wiens Pate gestanden zu haben.

Letztlich geht es weniger um woke oder nicht-woke Diskurse, sondern um das eine: die sexuelle Begierde – sei es in der experimentellen Form der Jugend (die Marius’ lesbische non-binäre Freundin Olivia verkörpert), sei es bei der Sexualität des dritten Lebensalters – wie bei den 50jährigen Zwillingen und dem noch älteren Psychiater David –, mit dem die in jeder Hinsicht flotte Ivana anbandelt.

Finn Job, dessen Schreiben man in der Tradition der Pop-Literaten Christian Kracht und Stuckrad-Barre verankern kann, hat keine Scheu, sich mit den geläufigen Gewissheiten und Zeitströmungen anzulegen. Politisch korrekt oder nicht-korrekt, das ist ihm offenkundig egal. "Damenschach" ist eine durchgeknallte Gesellschaftskomödie. Mit leichter Hand skizziert Finn Job den ganz normalen Wahnsinn der Gegenwart. Dieser Roman ist außergewöhnlich in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Ein wagemutiges Experiment voller sprachlicher Kraft und intellektuellem Einfallsreichtum.