"Die vorlaute Fischhändlerin" von Marino Moretti

Stand: 15.08.2024, 22:57 Uhr

Marino Moretti beleuchtet das Milieu der Fischhändler und Fischer, ihren Alltag und ihre Traditionen. In seinem Heimatstädtchen Cesenatico an der Adriaküste leben die Menschen am Meer und vom Meer. "Die vorlaute Fischhändlerin" ist nun einer Neuauflage erschienen.

Marino Moretti: Die vorlaute Fischhändlerin
Übersetzt von Judith Krieg, Edition Converso, 319 Seiten, 24 Euro

Wie der Titel nahelegt, beleuchtet Moretti das Milieu der Fischhändler und Fischer, ihren Alltag und ihre Traditionen. In seinem Heimatstädtchen Cesenatico an der Adriaküste leben die Menschen am Meer und vom Meer.

"Die vorlaute Fischhändlerin" von Marino Moretti Lesestoff – neue Bücher 22.08.2024 04:53 Min. Verfügbar bis 22.08.2025 WDR Online Von Christine Gorny

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Der größte Fischhändler des Ortes ist gestorben, Emanuele Pagan. Lo Zio, der Onkel, nannten ihn alle. Bei seiner Beerdigung lernen wir die Zunft kennen:

"Offen gestanden wird im Volk der Fischhändler gern einmal dick aufgetragen und mit Ringen und Goldketten, Medaillons und Münzanhängern geprahlt, und wollen sie dort zeigen, dass die Geschäfte gut, ja glänzend laufen, drucken sie eben einen Fisch mehr aufs Briefpapier, reihen Ring an Ring, Münze an Münze und tragen immer protzigere Ketten aus noch reinerem Gold."

So hielt es auch "lo Zio". Allerdings hinterlässt er einen Berg Schulden. Seine Witwe Andreana ist dagegen grundsolide, und sorgt sich, was aus ihr und ihren Kindern nun werden soll. Der nächstgrößte Fischhändler des Ortes, Raimondo Zavatti, genannt Mondo, kümmert sich um den Nachlass des ehemaligen Kollegen und auch intensiv um dessen Witwe in ihrem Ochsenblut-farbenen Trauerkleid. Mondo ist selbst verwitwet und Andreana stimmt bald einer Heirat zu. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Danach wird sie allerdings vom Gefühl verfolgt, sich verkauft zu haben.

Selbstbestimmt leben und agieren kann Andreana erst, nachdem auch ihr zweiter Mann Mondo durch Racheintrigen einer Fischerin finanziell ruiniert ist und durch einen Unfall auch gesundheitlich. Am Ende setzt sich Andreana selbst als Fischhändlerin durch in einer patriarchalen Gesellschaft.

"Von wem hatte sie nur gehört, dass am Großmarkt auch Frauen neben den Männern Schlange stehen, um Posten von Fisch zu ergattern? Vielleicht hatte ihr erster, vielleicht ihr zweiter Mann abfällig über dies weitere Zeichen der Zeit gesprochen, über den tagtäglichen Angriff der Frau auf den Fischmarkt, die Auktionshalle; was die Gentlemen dort selbstverständlich beklagten, Frauen machten einfach zu viel Lärm."

Bis Andreana Fischhändlerin wird, tun sich noch viele Spannungsbögen auf, Unfälle, Untreue und Unwägbarkeiten, Verwechslungen, Verleumdungen und Verluste.

Beim Lesen lernen wir nicht nur Cesenatico kennen, sondern machen Abstecher nach Venedig, wo damals schon an der Riva degli Schiavoni, die Touristen flanierten, und in den Fischerort Chioggia, wo Andreana geboren und aufgewachsen ist. Die vergangenen Welten beschreibt Moretti sehr plastisch, wie die Straßen-Szenen in Chioggia, die nicht nur wegen des Dialekts an Komödien von Carlo Goldoni erinnern.

"Ja isses denn ihre Szuld? Dem Sohn seine isses, ein Gauner isser ein Szwein, sur Hölle mit ihm."

Morettis allwissender Erzähler wechselt zwischen den Perspektiven seiner Figuren, durchaus mit ironischem Klang, ohne sie aber lächerlich zu machen. Mit dem Chioggia-Dialekt will Moretti komische Effekte unterstreichen. Bei der Übertragung in einen deutschen Kunstdialekt, hat sich die Übersetzerin Judith Krieg vom Klang und Schriftbild des Originaldialekts inspirieren lassen:

"Wer Goldoni im Original kennt, kennt sicher dieses x, das fürs stimmhafte s steht, st und sp immer mit z, damit das berühmte über den spitzen Stein-Stolpern entsteht. Ich habe an dieser Lautlichkeit angesetzt und auch am Schriftbild, um diese Komik zu erzeugen, die Intention des Autors war. Eingriffe, die wiederkennbar sein sollen, lustig sein sollen und trotzdem lesbar und ich hoffe, das ist mir auch gelungen."

Es ist ihr sogar sehr gut gelungen. Überhaupt die gesamte Übersetzung dieser atmosphärischen, lebendigen Fischerwelt von 1928. Italienfans werden viel Spaß haben an dieser unterhaltsamen, fast hundert Jahre alten Milieustudie mit lebendigen Charakteren.