Im August sind im NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags die ersten Zeugen zum Sprengstoffanschlag 2001 in der Kölner Probsteigasse vernommen worden. Ab Montag (07.09.2015) geht es vorwiegend um die zweite von drei Taten, die der NSU in NRW begangen haben soll: den Kölner Nagelbomben-Anschlag von 2004. "Der Komplex Probsteigasse ist damit aber nicht abgeschlossen", sagte der Ausschussvorsitzende Sven Wolf (SPD). Neben anderen Zeugen werde auch der für den 22. September geladene frühere NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) zu beiden Anschlägen befragt.
Auftakt im NSU-Ausschuss
Wolf kündigte an, der Ausschuss werde sich bis Ende des Jahres weiter mit den beiden Anschlägen in Köln beschäftigen. Voraussichtlich im Oktober wollen die Abgeordneten die beiden Tatorte in Augenschein nehmen - nach mehr als zehn Jahren nach den Anschlägen. Ebenfalls im Oktober ist auch ein Ortstermin in Dortmund geplant. Dort wurde 2006 Mehmet Kubasik in seinem Kiosk erschossen.
Die dritte mutmaßliche NSU-Tat in NRW
Nagelbombe verletzte 22 Menschen
Beim Anschlag in der Kölner Keupstraße war am 9. Juni 2004 vor einem Friseursalon ein Damenrad mit einem Sprengsatz abgestellt worden. Bei der Explosion um 15.56 Uhr wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Die Fahnder sind den beiden mutmaßlichen Tätern, die von Überwachungskameras gefilmt wurden, aber offenbar nicht auf die Spur gekommen. 2008 stellt die Kölner Staatsanwaltschaft deshalb die Ermittlungen ein. Erst im November 2011 wurde klar, wer vermutlich hinter dem Anschlag steckt: Nach der Selbstenttarnung des NSU tauchte eine Bekenner-DVD auf, die offenbar die Nagelbombe in der Vorbereitungsphase zeigt.
Die zweite mutmaßliche NSU-Tat in NRW
Wer ließ den Begriff "terroristischer Anschlag" streichen?
Der NSU-Untersuchungsausschuss will unter anderem der zentralen Frage nachgehen, weshalb nicht ausreichend in Richtung eines rechtsextremen Hintergrunds ermittelt wurde. Im Fragenkatalog der Abgeordneten heißt es: "Warum wurde gezielt in Richtung organisierte Kriminalität im migrantischen Milieu ermittelt, obwohl aufgrund der Videoaufnahmen die Täterbeschreibungen davon ausgingen, dass es sich bei den mutmaßlichen Tätern um 'Europäer', die phänotypisch nicht der türkeistämmigen migrantischen Community zugeordnet wurden, handelte?"
Standen die Ermittler bei ihrem Vorgehen vielleicht unter politischem Druck? Am Tattag hatte das Landeskriminalamt in Düsseldorf um 17.04 Uhr zunächst von "terroristischer Gewaltkriminalität" gesprochen. Kurz darauf, um 17.36, Uhr wird das LKA vom Lagezentrum des NRW-Innenministeriums gebeten, den Begriff "'terroristischer Anschlag' aus dem momentanen Schriftverkehr" zu streichen. Elf Minuten zuvor war der damalige NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) vom Lagezentrum informiert worden. Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages bestritt er 2012 allerdings, mit der Streichung etwas zu tun gehabt zu haben. Man darf gespannt sein, ob der Düsseldorfer NSU-Ausschuss aufklären kann, wer den Begriff damals streichen ließ.
Warum klappte die Zusammenarbeit der Behörden nicht?
Doch bevor Ex-Minister Behrens den Abgeordneten Auskunft geben muss, werden in dieser Woche am Montag, Mittwoch (09.09.2015) und Donnerstag (10.09.2015) zunächst die damaligen Ermittler befragt. Viele von ihnen haben ebenfalls bereits vor dem Bundestagsausschuss ausgesagt - so unter anderem Oberstaatsanwalt Josef Rainer Wolf, der polizeiliche Ermittlungsleiter Markus Weber sowie einige der geladenen LKA- und BKA-Beamten.
Dabei wird es auch um die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Behörden gehen. Zwar gab es schon kurz nach dem Anschlag durchaus Überlegungen zu einem rechtsterroristischen Hintergrund der Tat, aber sie blieben folgenlos. Dazu gehört die sogenannte Operative Fallanalyse, die das LKA NRW im Juli 2004 erstellt und darin Fremdenfeindlichkeit als das wahrscheinlichste Tatmotiv benannt hatte. Auch der Bundesverfassungsschutz verfasste im Juli 2004 ein Dossier; doch es hatte ebenfalls keinen Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen. Darin wurde der Keupstraßen-Anschlag sogar mit Nagelbomben-Attentaten 1999 in London verglichen und auf die - bei deutschen Rechtsextremisten beliebte - militante englische Neonazi-Gruppe "Combat 18" aufmerksam gemacht. Das Dossier soll die Kölner Polizei nie erreicht haben.
Warum befanden sich Polizisten in Tatortnähe?
Der Donnerstag wird ein zentraler Tag: Der NSU-Untersuchungsausschuss hat den früheren Vorsitzenden der Interessensgemeinschaft Keupstraße, Ali Demir, geladen. Er hatte im November 2012 dem WDR gesagt, er habe gleich nach dem Anschlag zwei Männer in ziviler Kleidung gesehen, die Schusswaffen trugen. Das habe er auch der Polizei mitgeteilt, doch die habe nicht reagiert. Demir selbst wurde erst nach den Medienberichten vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages um eine Stellungnahme gebeten. Es stellte sich heraus, dass es sich um zwei Polizeibeamte gehandelt haben soll, wie das NRW-Innenministerium dem Ausschuss mitteilte. Sie wurden im April 2013 als Zeugen nach Berlin geladen. Kurz danach befasste sich auch der Innenausschuss des NRW-Landtages mit der Angelegenheit.
Nach Demir ist am Donnerstag auch einer der beiden besagten Beamten im Düsseldorfer NSU-Ausschuss geladen. Es soll unter anderem geklärt werden, warum sich die beiden Polizisten zum Zeitpunkt der Explosion in Tatortnähe befanden. Möglicherweise ist ihnen mindestens einer der mutmaßlichen Täter begegnet. Zu ihren eventuellen Wahrnehmungen sind die Polizisten aber offenbar erst 2013, knapp neun Jahre nach der Tat, vernommen worden - bevor sie vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages erscheinen mussten. Dort hatten die beiden Beamten erklärt, ihnen seien die Aufnahmen der Überwachungskameras nicht gezeigt worden. Der Ausschuss des NRW-Landtages will nun erfahren, warum dies nicht geschehen ist.