Interview mit Psychologin Peteler

"Die Kirche will vor allem gut dastehen"

Stand: 22.02.2010, 02:00 Uhr

Die Deutsche Bischofskonferenz trifft ab Montag (22.02.2010) in Freiburg zusammen. Ganz oben auf der Tagesordnung: Sexueller Missbrauch durch Geistliche. Psychologin Helga Peteler aus Neuss betreut seit Jahren geistliche Täter und deren Opfer.

WDR.de: Frau Peteler, Sie beschäftigen sich als freie Therapeutin seit Jahren mit diesem Thema. Oft wird ja angeführt, der Grund für sexuellen Missbrauch durch Geistliche sei der Zölibat. Sehen Sie das auch so?

Helga Peteler: Das wäre ja wunderbar, wenn das so wäre. Ich glaube, es liegt an der Ungeheuerlichkeit des Themas der sexuellen Misshandlung. Keiner möchte damit etwas zu tun haben, und wir sind immer sehr erschrocken, wenn so etwas in unserer Umgebung auftaucht - und in dem Moment, wo ich die Kirche als einen klar definierten Raum habe, in dem sexuelle Misshandlung geschieht, ist das natürlich erleichternd. Es gibt dann einen eingegrenzten Raum des Bösen, des Ungeheuerlichen.

Hinzu kommt die Vorstellung, es reiche aus, den Zölibat abzuschaffen und Geistlichen zu ermöglichen, zu heiraten, und das Problem sei gelöst. Das aber ist eine Illusion. Dann hätte ich unter den Menschen, die ich behandele, nie verheiratete Menschen sitzen. Der größte Anteil ist aber verheiratet und hat durchaus ein Sexualleben mit dem jeweiligen Partner.

WDR.de: Der Augsburger Bischof Mixa dagegen meint, das Problem sei die sexuelle Revolution.

Peteler: Dann müsste ich ja davon ausgehen, dass es das früher gar nicht gab. Aber sexuellen Missbrauch gab es früher genauso wie heute. Es war wohl eher so, dass die Frauen in Folge der sexuellen Revolution den Mut hatten, sexuellen Missbrauch an die Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb werfen wir jetzt vermehrt einen Blick darauf. Und in Folge dessen fangen wir an, etwas davon zu verstehen.

WDR.de: Warum gehen die Opfer teilweise erst nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit?

Peteler: Der sexuelle Misshandler hat ein ausgezeichnetes System, die Opfer zu verwirren. Es findet eine hohe Manipulation statt - und dadurch eine schreckliche Schädigung. Wenn man missbraucht wird, wird das eigene Wertesystem so durcheinander gewirbelt, dass man in seiner Entwicklung massiv geschädigt wird. Deshalb traut man seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr.

In jeder Situation, in der man etwas beurteilen muss, haben die Opfer immer Zweifel, an dem, was sie wahrnehmen. Sie haben das Gefühl, dass sie selbst diejenigen sind, die nicht okay sind. Und je näher sie dem Menschen waren, der sie misshandelt hat, umso schwieriger ist es, darüber zu reden. Ich kenne niemanden, der ganz schnell über das, was ihm angetan wurde, redet.

WDR.de: Die Täter melden sich bei Ihn meist freiwillig. Welchen Eindruck haben Sie von den Tätern? In welchen Nöten befinden die sich?

Peteler: Die Geistlichen sind im Grunde genommen mit dem Problem allein gelassen, einsam. Sie haben kaum einen verständigen Ansprechpartner. Wenn sie sich bekennen, werden sie heute ja umgehend ausgeschlossen. Früher hat man es vertuscht und die Geistlichen auf andere Stellen verschoben. Es ging und geht immer darum, wie kann die Kirche, die jeweilige Institution möglichst weiter im guten Licht da stehen. So ist auch das Handeln bestimmt - nach dem Prinzip des Heiligen Florian: Verschon mein Haus, zünd andere an!

Es ist aber eine Illusion, zu glauben, dass es ausreicht, diese Menschen vor die Tür zu setzen. Vor der Tür stehen ja dann andere Opfer. Einem der Geistlichen, die ich behandelt habe, hat man beispielsweise gesagt, er dürfe keine Jugendarbeit mehr machen. Er müsse nun ins Altersheim. Der hat mich angeschaut und gesagt: Aber da gibt es doch Tausende von Enkelkindern.

WDR.de: Wie soll die Institution Kirche denn dann mit den Tätern umgehen?

Peteler: Meine Vision ist, dass die Kirche, mit ihrem hohen Anspruch an Seelsorge für den Menschen, bereit ist, diese ungeheure Spannung auszuhalten. Man muss beides sehen: Die Verursachung des Elends und das Elend selbst. Ich brauche Geistliche, die sich mit dem Täter und dem Therapeuten an den Tisch setzen und sich das Umfeld anschauen - um dann zu gucken, was man tun kann, damit der Mensch von seinen Misshandlungen lässt und das Gefühl der inneren Stärke findet.

Da wird die Gesellschaft natürlich schimpfen und sagen: Wie kann man nur einen misshandelnden Menschen weiter arbeiten lassen? Aber man muss sich doch fragen, wo es überhaupt einen Raum ohne Kinder gibt, in dem wir sicher sein könnten vor sexueller Misshandlung. Den gibt es doch gar nicht.

WDR.de: Haben sich die Kirchen zu einem Teil auf einen solchen neuen Weg bereits eingelassen?

Peteler: In ganz seltenen Situationen habe ich diese Offenheit in der Kirche erlebt. Das ist natürlich mühsam, die Kirchenleitung und schließlich eine ganze Gemeinde zu gewinnen. Das dauert mitunter Jahre. Es besteht einfach ganz viel Angst, mit misshandelnden Menschen zu arbeiten.

WDR.de: Muss man vielleicht schon vorher ansetzen und sich genau anschauen, wen man in den Priesterseminaren überhaupt ausbildet?

Peteler: Das ist doch wieder so eine Illusion. Es wäre ja schön, wenn es einen Katalog gäbe, den man nur abarbeiten müsste, um sexuell misshandelnde Menschen heraus zu filtern. Das wird aber nicht gelingen. Denn ein solcher Mensch manipuliert uns so gut, dass wir nicht dahinter kommen werden.

WDR.de: Kommt es Ihres Wissens nach in kirchlichen Institutionen tatsächlich öfter zum Missbrauch als in anderen Strukturen?

Peteler: Zahlen habe ich nicht, aber ich habe einen großen Einblick. Daher bin ich davon überzeugt, dass es in der Kirche nicht anders abläuft als in anderen Einrichtungen.

Das Gespräch führte Nina Giaramita.