Die Karwoche, die Woche vor Ostern, steht bei den Christen im Zeichen der Ein- und Umkehr. Selbstbesinnung scheint nun auch bei den Kirchen selbst angezeigt: Verstärkt versuchen sie, die Verfehlungen aufzuklären, die in ihren eigenen Reihen stattfanden und vielleicht noch stattfinden. Wie angekündigt, richtet die Deutsche Bischofskonferenz am Dienstag (30.03.2010) ab 13 Uhr eine Hotline für die Opfer von sexuellem Missbrauch ein, die Nummer lautet
0800/1 20 10 00. Mittlerweile gehen in allen fünf Bistümern und den beiden evangelischen Landeskirchen in NRW Sonderbeauftragte den Fällen von Missbrauch nach: Sie sprechen mit den Opfern, vermitteln Therapien, wühlen in alten Archiven, denn die Beschuldigten sind oft längst verstorben. Einige Beauftragte, die schon seit längerer Zeit Ansprechpartner zum Thema des sexuellen Missbrauchs sind, wurden von der Anzahl der Fälle seit Mitte Februar überrascht.
"Beten wir für alle, die sich enttäuscht abwenden"
"Die gegenwärtige Situation ist allein mit Ehrlichkeit, Offenheit und dem Willen zur Umkehr zu bestehen", schreibt Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, in einer ausführlichen Broschüre, die das Bistum Köln zu Vorfällen von sexuellem Missbrauch am Freitag (26.03.2010) herausgegeben hat. Und weiter: "Beten wir für alle, die jetzt Ärgernis an der Kirche nehmen und sich enttäuscht von ihr abwenden."
Drei Fragen beschäftigen die Kirchenoberen nun: Wie ist den Opfern heute zu helfen? Ab wann sollte mit der Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet werden? Und was geschieht mit den Tätern, sofern sie noch leben? Einem weiteren Problem stellen sich die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, nur zaghaft: Welche Ursachen für die schlimmen Verfehlungen liegen im System, in der Sexualmoral und Priesterausbildung?
Schwerpunkt
Missbrauchsbeauftragte betreuen Opfer
"Wir klären alle Fälle - und seien sie noch so lang her - offensiv auf. Die Opfer überwinden zum ersten Mal seit Jahrzehnten Angst und Scham und vertrauen sich uns an. Sie haben ein Recht darauf", erklärt Ulrich Lota vom Bistum Essen die neue Offenheit. Das Bistum Köln wird zum 01.05.2010 sogar eine zweite Stelle für einen Missbrauchsbeauftragten schaffen und mit einer Frau besetzen. "Damit haben Missbrauchsopfer die Wahl, ob sie lieber mit einer Frau oder einem Mann das erste Gespräch suchen", sagt Stefan Heße, Personalleiter der Abteilung Seelsorge beim Bistum Köln, in einem Interview mit der "Kirchenzeitung". Außerdem bietet das Bistum Köln den Opfern diverse seelsorgerische und therapeutische Maßnahmen an. "Wir wollen uns um die Opfer kümmern, ihnen helfen, innere Freiheit wiederzuerlangen. Welche Hilfestellung dazu nötig ist, kann individuell verschieden sein", sagt Patricia Jungnickel vom Bistum Köln. Allerdings würden diese Maßnahmen nur von wenigen Opfern eingefordert.
Kaum Entschädigungen oder Therapien gewünscht
Dorothee Trynogga, 46 Jahre, Hausfrau, Mutter und ehrenamtliche Missbrauchsbeauftragte des Bistums Essen erklärt: "Die Fälle liegen zwischen 30 und 50 Jahren zurück, therapeutische Maßnahmen wünschen viele Betroffene nicht mehr." Ihnen gehe es mehr darum, sich auszusprechen und damit zu verhindern, dass Anderen das Gleiche passiert. Petra Hundhausen-Kelp, 62, Juristin und Missbrauchsbeauftragte der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat in den letzten Wochen fünf neue Opfer betreut und beobachtet Ähnliches: "Die Opfer, die mir gegenüber sitzen, haben oft bereits in der Vergangenheit eine Therapie gemacht. Sie sind gelassen und dankbar, dass die Kirche sich endlich kümmert. Sie wollen ihr Schicksal mitteilen." Finanzielle Entschädigungen habe bisher keiner gefordert.
Geldzahlungen gewährt derzeit keines der fünf Bistümer in NRW. "Wir haben noch nichts entschieden, das ist keine gelöste Sache", sagt Jungnickel vom Bistum Köln. "Über Entschädigungen haben wir überhaupt noch nicht gesprochen", bestätigt auch Lota vom Bistum Essen.
Sofort mit Staatsanwalt zusammenarbeiten
Die Kirchen versuchen verstärkt, die Vorwürfe zu entkräften, sie würden Fälle von Missbrauch lieber in den eigenen Reihen regeln: Sie arbeiten mittlerweile offensiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. "Sobald sich der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs erhärtet, wird die Staatsanwaltschaft informiert", sagt Heße vom Bistum Köln. Den beschuldigten Mitarbeitern werde eine Selbstanzeige nahe gelegt. Das Bistum Münster geht sogar noch einen Schritt weiter. "Wir arbeiten selbst bei Verdachtsmomenten sofort mit der Staatsanwaltschaft Münster zusammen. Das ist vorbildlich und einzigartig für NRW", sagt Karl Hagemann, Sprecher des Bistums Münster. Er glaubt, andere Bistümer werden bald nachziehen.
Verurteilte Straftäter müssten auch mit einer Verurteilung im Rahmen des Kirchenrechts rechnen, die strenger ausfiele. "Bei einer Verurteilung können Kirchenstrafen verhängt werden wie die Suspendierung vom Amt oder im besonders schweren Fall die Entlassung aus dem Klerikerstand", erklärt Heße.
Studientag zu sexuellem Missbrauch für angehende Priester
Die achtjährige Ausbildung zum Priester verteidigen die Kirchen jedoch. Markus Hofmann, 42, leitet das Kölner Priesterseminar, an dem zur Zeit rund 90 Priesteramts-Kandidaten lernen. "Wir beobachten die menschliche, soziale und psychische Reife unserer Priesteramtskandidaten schon seit vielen Jahren, nicht erst seitdem die furchtbaren Geschehnisse zu Tage getreten sind." Die Leiter des Seminars entwickelten die Ausbildung fortwährend weiter: "Sie ist nicht mehr vergleichbar mit der Praxis in den 50er oder 60er Jahren." Neben Frömmigkeit, theologischem Wissen und seelsorgerischer Kompetenz sei menschlich-emotionales Verhalten die Grundlage für ein erfolgreiches Studium. Psychische Störungen der Kandidaten seien jedoch schwer auszumachen. "Gäbe es einen psychologischen Test, der schwerwiegende Störungen wie Pädophilie offenbart, würden wir ihn anwenden und die betreffenden Kandidaten aussortieren. Den gibt es laut Experten aber nicht."
Hofmann will den Missbrauchsskandal zum Anlass nehmen, das Studium weiter zu verbessern: Es gibt einen neu konzipierten Studientag zum Thema des sexuellen Missbrauchs. Darin vermitteln Psychologen den angehenden Priestern, wie sie Missbrauch bei Opfern und Kollegen erkennen und das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz wahren: Indem sie sich beispielsweise mit einzelnen Anwärtern der Erstkommunion nicht in enge, abgetrennte Räume begeben.
Telefonnummern im Überblick:
Die Deutsche Bischofskonferenz schaltet am Dienstag (30.03.2010) ab 13 Uhr ein Telefonhotline für Opfer sexuellen Missbrauchs, die Nummer lautet: 0800/1 20 10 00.
Die Missbrauchsbeauftragten der Bistümer und Evangelischen Kirchen:
Bistum Aachen: Hans-Willi Winden (02151/56 13 94)
Bistum Essen: Dorothee Trynogga (0151/57 15 00 84)
Bistum Köln: Norbert Trippen (0221/2 57 89 96)
Bistum Münster: Hans Döink (02541/8 73 33)
Bistum Paderborn: Manfred Frigger (05251/2 60 71)
Evangelische Kirche im Rheinland: Petra Hundhausen-Kelp (0211/4 56 26 77)
Evangelische Kirche in Westfalen: Hiltrud Wegehaupt-Schlund (0251/2 70 92 65) und Elmar Knipp (0251/2 70 92 50)