Für die Pressesprecherin des Erzbistums Köln, Patricia Jungnickel, sind die Zahlen, die das Amtsgericht Köln jüngst heraus gegeben hat, nicht "repräsentativ und nicht aussagekräftig genug." Dennoch: Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche hat sich im Bezirk des Amtgerichts Köln von Februar bis März 2010 mehr als verdoppelt. Im Februar waren es 159 Katholiken, die gegenüber dem Amtsgericht ihren Austritt aus der Kirche erklärten, im Folgemonat dagegen wendeten 459 Menschen der katholischen Kirche den Rücken zu. Im Vergleich dazu: Im März 2009 traten lediglich 278 Katholiken aus der Kirche aus.
Höhere Austrittszahlen auch im Ruhrgebiet
Auch die Kirchen im Ruhrgebiet haben zur Zeit mit hohen Austrittszahlen zu kämpfen. Am Essener Amtsgericht meldeten sich im März 184 Katholiken ab, rund 50 Prozent mehr als im März des vergangenen Jahres. Das Amtgericht in Bochum vermeldet ebenfalls eine gestiegene Zahl von Austritten. 125 Bochumer haben im März ihren Austritt beim Amtsgericht eingereicht, im März 2009 waren es lediglich 52 Menschen.
Aber auch im Ruhrbistum ist man mit einer Bewertung der Zahlen vorsichtig. "Es kann einen Zusammenhang mit der Berichterstattung über Missbrauchsfälle geben", sagt Pressesprecherin Dorothee Renzel-Walter. Letztendlich könne man sich jedoch nicht sicher sein, da man für den Kirchenaustritt keine Begründung angeben müsse.
Schwerpunkt
"Woran soll es sonst liegen?"
Für Annegret Laakmann, Referentin der kirchenkritischen Bewegung "Wir sind Kirche" stellt sich der Sachverhalt jedoch deutlicher dar: "Man muss einen Zusammenhang vermuten", sagt sie. "Woran soll es denn sonst liegen?" Bei vergangenen Skandalen innerhalb der Kirche sei es auch so gewesen. Nach der Aufhebung der Exkommunikation von einigen Bischöfen der umstrittenen Pius-Bruderschaft im Jahr 2009 beispielsweise seien die Austrittszahlen ebenfalls angestiegen.
Weniger Austritte in Paderborn und Aachen
Eine flächendeckende Austrittswelle gibt es in Nordrhein-Westfalen jedoch nicht. Laut Auskunft des Sprechers des Paderborner Amtsgerichts sind in der westfälischen Stadt die Austrittszahlen "erstaunlicherweise rückläufig". Im Zeitraum von Januar bis März 2010 seien 225 Menschen aus der Kirche ausgetreten, im Vorjahreszeitraum dagegen 237. Eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen wird am dortigen Amtgericht jedoch nicht vollzogen. Auch in Aachen ist die Zahl der Austritte rückläufig. Bisher traten dort 503 Menschen aus der Kirche aus - und damit 50 weniger als im Vorjahr.
Die 130 Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen führen jeweils eigenständige Statistiken über die Kirchenaustritte in ihrem Gerichtsbezirk. Nach und nach reichen die Gerichte daraufhin die Daten an die Bistümer weiter. Einen Gesamtüberblick können die Diözesen sich daher erst später im Jahr verschaffen.
"Heiße, religiöse Beziehung"
Dass die Zahlen derart durchwachsen sind, wundert den Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack nicht. "Paderborn ist eine hochkatholische Stadt, da sind die Milieus noch geschlossener als in einer Stadt wie Köln", sagt Pollack. Dennoch warnt er davor, dass das Vertrauen in die Kirche nach den bekannt gewordenen Missbrauchsskandalen in Zukunft "stark nachlassen könnte". Seine Feststellung: "Die Mehrheit der Katholiken hat ohnehin ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche. Es gibt eine hohes Näheverhältnis, aber vieles wird auch kritisch beäugt." Diese "heiße, religiöse Beziehung" könne schnell nachhaltig gestört werden - und in einem Kirchenaustritt enden.
"Bei den Angehörigen der evangelischen Kirche ist das anders", fügt er hinzu. "Die haben ein weniger emotionales Verhältnis zur Kirche. Deshalb tritt dort auch keiner so schnell aus der Kirche aus, wenn eine Bischöfin sich mal einen Fehltritt leistet."