Bilanz ein Jahr nach dem Loveparade-Unglück

Viel Arbeit für die Ermittler

Stand: 21.07.2011, 10:23 Uhr

Die Staatsanwaltschaft kämpft sich durch Berge von Akten. Und Duisburgs OB Adolf Sauerland kämpft ums politische Überleben, nachdem der NRW-Landtag das Abwahlverfahren per Bürgerbegehren eingeführt hat. Eine politische und rechtliche Bilanz - ein Jahr nach dem Loveparade-Unglück.

Es ist eine Tragödie, die noch immer niemand richtig fassen kann: 21 Tote, über 500 Verletzte. Unzählige Ermittlungsordner, deren Sichtung noch Monate beanspruchen wird. Ein umstrittener Oberbürgermeister, der spät reagiert hat. Eine ganze Stadt ist verunsichert und trauert mit den Angehörigen der Opfer. Wie weit ist die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen? Was passiert mit dem Gelände, auf dem das Unglück stattfand? Und wie lange kann sich Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) noch im Amt halten? WDR.de hat noch einmal die wichtigsten rechtlichen Fakten zum Unglück auf der letztjährigen Loveparade zusammengefasst.

Wie ist der Stand der Ermittlungen?

Während des vergangenen Jahres haben vier ermittelnde Staatsanwälte in Duisburg mehr als 3.000 Zeugen vernommen, 23.000 Seiten Berichte und Beweismittel in 120 Stehordnern gesammelt und 138 Terabyte Daten aus den unterschiedlichsten EDV-Systemen der Stadtverwaltung sichergestellt. Die endgültige Auswertung der Unterlagen kann nach Auskunft von Oberstaatsanwalt Rolf Haferkamp "noch Monate in Anspruch nehmen".

Kritischer Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft

Bis Januar 2011 liefen die Ermittlungen gegen Unbekannt. Erste stichhaltige Erkenntnisse führten dann dazu, dass gegen 16 Personen Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung eingeleitet wurden. In einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft, aus dem am 11. Juli 2011 Details bekannt geworden sind, kamen die Ermittler zu dem Ergebnis, dass ein mangelhaftes Sicherheitskonzept des Veranstalters unkritisch übernommen worden sei. Außerdem soll der leitende Polizeidirektor die Lage nicht rechtzeitig entschärft haben.

Beschuldigt werden elf Angestellte der Stadtverwaltung, vier Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters Lopavent sowie der bereits erwähnte Polizeidirektor. Anklagen wurden allerdings bisher nicht erhoben. Gegen den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sowie den geschäftsführenden Gesellschafter von Lopavent, Rainer Schaller, sei noch kein Verfahren anhängig, sagte Haferkamp. Das heiße aber nicht, dass eine neue Erkenntnislage nicht auch dazu führen könnte.

Was wird mit Oberbürgermeister Adolf Sauerland?

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist weiterhin höchst umstritten. Nachdem im September 2010 ein Abwahlverfahren gescheitert war, weil im Rat nicht die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit gegen ihn zustande kam, arbeiten zurzeit mehrere Duisburger Bürgerinitiativen zusammen, um per Unterschriftensammlung ein erneutes Abwahlverfahren in die Wege zu leiten.

Möglich macht diesen erneuten Anlauf eine Gesetzesänderung aus dem Mai 2011: Bislang konnte nur der Rat über eine Abwahl des Bürgermeisters bzw. Oberbürgermeisters entscheiden. Durch die Änderung, die die rot-grüne Minderheitsregierung mit den Stimmen der Linken und bei Enthaltung der FDP umgesetzt hat, kann nun auch per Bürgerbegehren ein Abwahlverfahren initiiert werden. Erforderlich dafür sind in einer Stadt, die mehr als 100.000 Einwohner hat, die Unterschriften von 15 Prozent der wahlberechtigten Bürger. Das wären in Duisburg rund 55.400. Die Unterschriften müssen innerhalb von vier Monaten gesammelt werden. Stichtag für die Bürgerinitiativen ist der 19. Oktober 2011. Am Mittwoch (20.07.2011) meldeten sie einen Zwischenstand: 30.000 Unterschriften seien bereits geleistet worden.

Worauf die Bürgerinitiativen und viele weitere Einwohner Duisburgs so lange von Sauerland gewartet haben, machte der OB schließlich 11. Juli 2011: Er entschuldigte sich im Rahmen einer Ratssitzung ausdrücklich bei den Hinterbliebenen und Geschädigten. Die entsprechende Passage seiner Stellungnahme im Wortlaut:

"Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, mich an dieser Stelle bei allen Hinterbliebenen und Geschädigten zu entschuldigen."

An der Trauerfeier am Sonntag wird Sauerland auf Bitte der Opferangehörigen genauso wie Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller nicht teilnehmen.

Was passiert mit dem Unglücksgelände?

Bereits vor der Loveparade 2010 war das Gelände rund um den ehemaligen Güterbahnhof an einen Investor verkauft worden, der dort ein großes Möbelhaus errichten wollte. Ursprünglich sollte das gesamte Areal samt Unglückstunnel und ehemaligem Festgelände überbaut werden. Auf Initiative der Opferangehörigen soll aber ein Teil des Unglücksortes zum Gedenken an die Toten und Verletzten erhalten bleiben. Der Planungsausschuss der Stadt Duisburg beschloss am 11. Juli 2011 eine entsprechende Änderung des Bebauungsplans. Verwaltung, Investor und Opferangehörige wollen nun gemeinsam nach einer Lösung suchen, wie die Stadt Duisburg bestätigte. Denkbar sei es, die Treppe zu erhalten, vor der das Gedränge entstand.

Wird das Ereignis politisch aufgearbeitet?

Auch die Landespolitik beschäftigt sich seit dem 24. Juni 2010 immer wieder mit dem Unglück. Der Landtag lehnte zuletzt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ab. FDP und Linke hatten ihn bereits mehrfach beantragt, waren aber an der Mehrheit aus SPD, Grünen und CDU gescheitert. Als Begründung führen die drei Parteien die noch laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen an. Ein Ausschuss könne "falsche Hoffnungen wecken", ergänzte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Matthi Bolte. Die FDP führt dagegen die Auskunftspflicht der Landesregierung gegenüber dem Parlament an: "Von über 200 Fragen, die wir offiziell gestellt haben, wurden maximal vier oder fünf beantwortet. Die Regierung hat aber die Pflicht zur Aufklärung", sagt Horst Engel, FDP-Fraktionssprecher für Inneres und Kommunalpolitik. "Je länger man wartet, desto weniger ist den Zeugen das Geschehen vom 24. Juni 2010 gegenwärtig. Es bringt nichts, wenn man sich dann nur noch auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beziehen kann."