Der Terror der rechtsextremistischen Zwickauer Zelle hält Politik und Geheimdienste weiter in Atem. Während im Untersuchungsausschuss des Bundestags fast täglich neue Pannen der Sicherheitsbehörden öffentlich werden, ist es um die politische Aufarbeitung in Nordrhein-Westfalen eher ruhig geworden. Neonazi-Experten fordern eine Aufklärung offener Fragen.
Drei Verbrechen in NRW
Bislang wirft die Bundesanwaltschaft dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) drei Verbrechen in NRW vor: Im Januar 2001 sollen NSU-Terroristen eine damals 19-jährige Deutsch-Iranerin bei einem Sprengstoffanschlag auf ein Kölner Lebensmittelgeschäft schwer verletzt haben. Im Juni 2004 hatte eine offenbar vom NSU deponierte Nagelbombe 22 Menschen in der überwiegend von Türken bewohnten Keupstraße in Köln-Mülheim verletzt. Im April 2006 sollen die Rechtsterroristen einen türkischen Kioskbesitzer in Dortmund erschossen haben.
Die Bundesanwälte ermitteln seit Monaten gegen die Terrorgruppe. Die Taten sollen auch im NRW-Landtag noch einmal aufgerollt werden. "Da die Anschläge in NRW begangen wurden, müssen wir wissen, wo und wie lang sich die Täter hier aufgehalten haben", sagt der FDP-Innenexperte Robert Orth. Gerade beim Fall Keupstraße hätten die Behörden schlecht ermittelt. Falls offene Fragen in den Gremien des Landtags nicht geklärt werden können, hält Orth auch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Düsseldorf für denkbar. Im Bundestag sowie in den Landtagen von Thüringen, Sachsen und Bayern gibt es bereits solche Ausschüsse.
Anschlag von Düsseldorf nicht aufgeklärt
Ungeklärt ist noch, ob die Terroristen auch für den Sprengstoffanschlag am 27. Juli 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn verantwortlich sind. Damals wurden zehn Menschen verletzt, eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind, als ein in einer Plastiktüte versteckter Sprengsatz in einer Gruppe jüdischer Aussiedler detonierte. Laut Bundesanwaltschaft gibt es bisher keinen hinreichenden Verdacht für eine Täterschaft des NSU.
"Dubiose Rolle" des Verfassungsschutzes
Rechtsextremismus-Experten fordern mehr Tempo bei der Aufarbeitung der Hintergründe. "Die Aufklärung in NRW steht noch am Anfang. Der Landtag sollte hier aktiver werden", sagt Alexander Häusler, Soziologe vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Die "dubiose Rolle" des Verfassungsschutzes sei auch in NRW ein Thema, sagt der Wissenschaftler. "Die staatlichen Stellen müssen offenlegen, warum im Detail nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße nur einseitig ermittelt wurde. Ungeklärt ist beispielsweise auch, welche Erkenntnisse über Kontakte von ostdeutschen Neonazis nach Dortmund vorlagen." Wenn alles aufgeklärt ist, müsse "neu über die Beobachtung der Neonazi-Szene geredet werden". Dazu brauche man nicht zwingend einen Verfassungsschutz.
Reform der Behörde steht an
Rot-Grün will die Arbeit des Geheimdienstes nachvollziehbarer machen. "Modern, effektiv und vor allem transparent" sollen die Behörden sein, gibt Innenminister Ralf Jäger (SPD) vor. Im rot-grünen Koalitionsvertrag heißt es, man wolle prüfen, ob Sitzungen des bislang streng geheimen Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) im Landtag öffentlich stattfinden können. Offenbar soll der Verfassungsschutz auch öfter und detaillierter über seine Tätigkeit Auskunft geben. Auf Nachfrage geben sich Ministerium und Grüne derzeit noch zugeknöpft, wenn es um weitere Pläne zu Konsequenzen aus der braunen Terrorserie geht.
Polizei verstärkt Kontrollen
Die Opposition warnt die Regierung bereits vor übereilten Reformen. "Die von Innenminister Jäger beabsichtigte Ausweitung der Transparenz und der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten dürfen auf keinen Fall die Schlagkraft des Verfassungsschutzes schwächen", sagt der CDU-Innenexperte Peter Biesenbach.
Personell gibt es bereits eine Veränderung bei der NRW-Behörde. Ab August übernimmt der frühere Vizechef Burkhard Freier die Leitung des Verfassungsschutzes. Aus persönlichen Gründen hatte sich die bisherige Chefin Mathilde Koller im Juni in den Ruhestand versetzen lassen.
Generell scheint sich ein Strategiewechsel bei den Behörden in NRW abzuzeichnen. Neben der üblichen Beobachtung der rechtsradikalen Szene setzt das Land seit rund einem halben Jahr verstärkt auf polizeiliche Kontrollen, Razzien und Repression. Die Polizei soll Rechtsextremisten vor allem in Großstädten wie Aachen, Dortmund, Köln und Wuppertal nach den Worten von Minister Jäger buchstäblich "auf den Springerstiefeln" stehen.
Kritik an einseitigen Ermittlungen
Aus der Wissenschaft kommt die Forderung nach grundsätzlichen Korrekturen beim vielbeschworenen Kampf gegen Rechts. "Die aktuelle Debatte über Versagen beim Verfassungsschutz greift zu kurz. Zivilgesellschaftliche Gruppen etwa werden zu wenig unterstützt beim Kampf gegen Neonazis, bei der Aufklärungsarbeit in den Stadtteilen", sagt der Rechtsextremismus-Forscher Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung.
Neben der Stärkung der Basisarbeit gegen die braune Gefahr müsse die Öffentlichkeit "kritisch reagieren, wenn es bei manchen Behörden, bei manchen Polizisten und Verfassungsschützern selbst rassistische Wahrnehmungsmuster" gebe, wie etwa der Begriff "Döner-Morde" verdeutliche. "Anders ist kaum zu erklären, dass nach den Neonazi-Anschlägen in Köln und Dortmund fahrlässig und einseitig in Richtung Ausländerkriminalität ermittelt wurde", sagt der Wissenschaftler.