Stichtag

11. April 1935 - Agfa-Umkehrfilm wird patentiert

Im Oktober 1936 startet in Berlin der erste Dia-Abend der Weltgeschichte. Vor der versammelten Presse schicken die Chemiker Wilhelm Schneider und Gustav Wilmanns von der deutschen "Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication" (Agfa) Licht durch ein farbiges Transparentfoto und werfen so eine große Projektion an die Wand. Was das Wohnzimmerpublikum Jahrzehnte später als Dia-Motiv zum Gähnen bringt, begeistert im "Haus der deutschen Presse" die versammelten Journalisten.

"Da wurden farbige Blumenbeete gezeigt, wobei die Farben so wundervoll herauskamen, dass bei den Zuschauern spontaner Beifall ausgelöst wurde", zieht eine Zeitung am Folgetag Bilanz. Von "einer außerordentlichen Reinheit der Farben" ist die Rede. "Man möchte das Geschehene als ein Wunder bezeichnen", steht in den "Düsseldorfer Nachrichten" – "wenn man es nicht selbst gesehen hätte".

Emulsionen trennen

Die Idee zum Wunder hat Rudolf Fischer von der "Neuen Photographischen Gesellschaft" (NPG) in Berlin. Um 1912 reicht der Chemiker im Auftrag seines Unternehmens beim Patentamt den Vorschlag ein, das schwarz-weiße Negativ in der Kamera durch einen Filmträger zu ersetzen, auf den drei jeweils für Rot, Grün und Blau empfindliche Schichten aufgetragen sind. Damals allerdings scheitern die Versuche wegen der noch unzureichenden Emulsionstechnik: Die Schichten fließen ineinander.

Drei Jahre dauert es, bis es Schneider und Wilmanns gelingt, hauchdünne lichtempfindliche Schichten aus gelben, roten und blauen Pigmenten übereinander zu betten, die je nach Farbgebung des Motivs unterschiedlich belichtet werden. Am 11. April 1935 erhält Agfa für seinen "Agfacolor Neu Farbumkehrfilm" ein Patent – nur drei Tage, bevor der US-Konkurrent Kodak mit einem ähnlichen Verfahren herauskommt. Die Erfindung macht es erstmals möglich, Farbfilme billig für eine breite Masse an Hobbyfotografen zu produzieren. So trägt der "Agfacolor Neu Farbumkehrfilm" nicht unwesentlich dazu bei, dass Schwarzweiß-Filme ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts nur noch bei Fotokünstlern und Nostalgikern Verwendung finden.

"Burgruine zur Hochsaison"

Die neuen bunten Filmpatronen sind eine willkommene Munition für die Propagandamaschinerie von Joseph Goebbels, der sich von einer braun übertünchten Farbfotografie eine höhere Identifikation der begeisterten Massen mit der NS-Ideologie erhofft. Auf "Agfacolor Neu" kommt 1941 mit "Frauen sind doch bessere Diplomaten" auch der erste deutsche Farbfilm in die Kinos – vier Jahre vor dem Durchhaltefilm "Kolberg" von Veit Harlan, der zur teuersten Produktion des NS-Regimes gerät. Allerdings benötigt das Material sechs Mal mehr Licht als sein schwarz-weißer Vorgänger. Für Schauspieler wie Marika Rökk werden die Dreharbeiten zu "Frauen sind doch bessere Diplomaten" zur schweißtreibenden Angelegenheit. "Wir wurden ausgeleuchtet wie eine Burgruine zur Hochsaison", wird sie später sagen.

Bis in die neunziger Jahre bleibt der Diafilm unter Hobbyfotografen eine beliebte Alternative zum - inzwischen ebenfalls farbigen - Negativ. Erst mit Erfindung der Digitalkameras beginnt sein Abstieg - ebenso wie der der Agfa Photo GmbH. 2005 muss das Unternehmen Insolvenz anmelden.

Stand: 08.04.2015

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