Stichtag

1284 - Nasreddin Hoca stirbt in Anatolien

Einmal soll Nasreddin Hoca, so lautet eine Geschichte, einem Bauern einen Brief vorlesen. Aber er weigert sich: Die Schrift sei zu schlecht, um sie entziffern zu können. "Du trägst einen Turban eines gebildeten Mannes und kannst noch nicht mal einen Brief lesen!", soll der erboste Mann ihm entgegnet haben – woraufhin Hoca seine Kopfbedeckung vor den Bauern legt und sagt: "Wenn du meinst, dass jeder, der einen Turban trägt, ein gebildeter Mensch sei, dann setz ihn doch selber auf und schau, ob du dann lesen kannst."

Komisch und lehrreich, absurd und philosophisch sind die Geschichten, die von dem Schelm aus der Türkei überliefert sind. So auch die, als er verkehrt herum auf dem Esel sitzend angetroffen wird. Darauf aufmerksam gemacht, behauptet er einfach, der Esel schaue in die falsche Richtung. Verkehrt herum mit einem übergroßen Turban auf dem Esel sitzend: So sehen viele der Bilder aus, die die Erzählungen von Nasreddin Hoca illustrieren.  

Verkehrte Welten 

Von Istanbul bis zum Jemen, von Marokko bis Peking, von Samarkand bis zum Balkan schmunzelt man über den Helden, dessen Beiname "Hoca" ihn als religiösen Lehrer des Islam ausweist und dessen Abenteuer ihm im Westen den Beinamen eingebracht haben, ein "Till Eulenspiegel des Orients" zu sein. Wie Eulenspiegel, so soll auch Nasreddin eine historische Person gewesen sein, die ihre Mitmenschen irgendwann im 13. Jahrhundert zum Schmunzeln, Nachdenken und Toben brachte. Bewiesen ist dies aber nicht. Für die Verehrung seines fiktiven Lebens in der Literatur spielt dies ohnehin keine Rolle.

Im 13. Jahrhundert tauchen auch die ersten Nachrichten über ihn auf. Im 15. Jahrhundert dann entstehen erste Nasreddin-Ausgaben, für die allerdings auch Anekdoten aus wesentlich älteren arabischen Quellen umgeschrieben werden. In diesen Geschichten werden als unumstößlich geltende Normen und Vorstellungen – teils auch die der Herrschenden und Gebildeten – immer wieder kritisch hinterfragt.  Vor allem aber räumen die Anekdoten auf mit der Idee, dass der Islam keinen Spaß verstehe.  

Ein Grabmal existiert 

"Wenn ich gestorben bin, so legt mich in ein altes Grab", soll Nasreddin Hoca laut der Überlieferung einmal verfügt haben. Und als ihn die Leute verdutzt fragten, warum er denn kein neues haben wolle, ist seine Antwort: "Wenn die Frageengel Munkar und Nakir kommen, um meine Rechtgläubigkeit zu prüfen, dann werde ich Ihnen antworten: 'Ich bin doch schon gefragt worden! Seht Ihr denn nicht, dass mein Grab schon alt ist?'" 

Den letzten Willen hat die Nachwelt Nasreddin Hoca nicht erfüllt. Der "Till Eulenspiel des Orients" hat sein hoch verehrtes Grab, auf dem als Todesdatum das Jahr 683 – nach westlicher Zeitrechnung 1284 – verzeichnet ist, in der Stadt Akşehir in Mittelanatolien. Geschmückt ist es mit einem riesenhaften Turban aus Marmor.

Stand: 10.12.2014

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