Stichtag

16. November 2005 - Vor 10 Jahren: Oskar Lafontaine wird SPD-Vorsitzender

Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck - nach der Ära Willy Brandts wechseln die Vorsitzenden der  SPD rasch nacheinander. Auf Brandt folgt zunächst Hans-Jochen Vogel, dann Björn Engholm, schließlich 1993 Rudolf Scharping. Doch mit ihm sind die Sozialdemokraten unzufrieden. Die  SPD hat die Bundestagswahl und mehrere Landtags- und Kommunalwahlen verloren. Gerade noch 30 Prozent der Wähler können sich für sozialdemokratische Politik erwärmen. Die Partei scheint richtungslos. Die Identitätskrise personifiziert sich in Rudolf Scharping, bei dem die Fäden zusammenlaufen: Er ist Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und 1994 erfolgloser Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl ( CDU). Scharping wird Zielscheibe heftiger Kritik.Auf dem Mannheimer Parteitag 1995 begeistert Oskar Lafontaine die Delegierten mit einer flammenden Rede: "Die Sekretärinnen, die Krankenpfleger, die Facharbeiter zahlen brav ihre Steuern, und die höheren Einkommen haben so viele Abschreibungsobjekte, dass Millionäre stolz sind, sich zu brüsten, dass sie keinen Pfennig Steuern zahlen - wie soll denn da das Vertrauen in unseren Staat noch gegeben sein?" Das wollen die Versammelten hören. Lafontaine erscheint ihnen wie ein Erlöser, der Bundeskanzler Kohl ordentlich zusetzen kann. "Es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können, und wenn wir selbst begeistert sind, können wie auch andere begeistern. In diesem Sinne: Glückauf!"

Mehrere Delegierte fordern Lafontaine auf, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Nachmittags, abends und noch in der Nacht werden die Strippen gezogen. Am 16. November 1995 tritt Lafontaine in einer Kampfabstimmung gegen Scharping an - und siegt. Politikwissenschaftler sprechen hinterher von einem Putsch. Gut drei Jahre ist Lafontaine SPD-Vorsitzender. 1998 wird Gerhard Schröder - auf Vorschlag von Lafontaine - Kanzlerkandidat und gewinnt die Bundestagswahl. Ohne Angabe von Gründen schmeißt Lafontaine im März 1999 die Brocken hin und tritt von den Ämtern des SPD-Parteivorsitzenden und des Bundesfinanzministers zurück. "Schlechtes Mannschaftsspiel" ist sein spärlicher Kommentar. Mittlerweile sitzt der Saarländer für die Linkspartei wieder im Bundestag. Was Lafontaine damals als neu gewählter  SPD-Vorsitzender erklärt hat, kann noch heute als Warnung an die politischen Gegner gelten: "Freunde, Mitstreiter im demokratischen Wettbewerb: Zieht euch warm an, wir kommen wieder!"

Stand: 16.11.05