Stichtag

8. August 1988 – Hormonskandal in der Kälbermast wird bekannt

Am 8. August 1988 wird der Sohn von Raymund Schneeweis zehn Jahre alt. Der für den Kreis Borken zuständige Staatsanwalt will nachmittags früh zum Kaffeetrinken nach Hause fahren, als ihn der Anruf von Amtstierarzt Heinrich Bottermann erreicht.

Bottermann informiert Schneeweis darüber, dass er auf einen Schlachthof bei Bocholt gerufen worden sei, wo im Tierkadaver von Kalb Nummer 713 aus dem Stall des "Kälberbarons" Felix Hying Rückstände eines verbotenen Hormons gefunden wurden. Auf diese Weise, wird Schneeweis später resümieren, "trat dieser Hormonskandal in mein Leben".

"Der kleine Doktor"

Innerhalb weniger Tage nimmt der Fall ungeahnte Ausmaße an. Nach Probeschlachtungen werden sämtliche Stallungen des Kälber-Millionärs Hying, dessen Futtermeister Josef Vornholt wegen seiner Vorliebe für medikamentöse Behandlung in Fachkreisen seit Jahren den Spitznamen "der kleine Doktor" trägt, geschlossen und verplombt. Schnell geraten weitere Mäster ins Visier der Ermittler. Der Verdacht keimt auf, dass bei rund 15.000 Tieren im Kreis Borken verbotene und für den Verbraucher gesundheitsbedenkliche Testosteron- und Östradiol-Produkte zur Beschleunigung der Mast gespritzt worden sind.

NRW-Landwirtschaftsminister Klaus Matthiesen (SPD) sieht Gefahr in Verzug und ordnet die Tötung der verdächtigen Kälber in "Tierkörperbeseitigungsanstalten" an. Die konservativen Mäster sind entrüstet. Sie wittern eine Strafaktion des eher linken Politikers.

Freispruch in 22 von 24 Fällen

Die Situation eskaliert zunehmend, als die Kälbermäster in Borken ihre gesperrten Ställe in Nacht- und Nebelaktionen leerräumen. Hundertschaften von Polizisten werden aufgefahren, um die Aktionen zu verhindern. Derweil stoßen die Fahnder laut Matthiesen auf Indizien für eine internationale "Hormonmafia", die die Präparate aus Südamerika über die Beneluxstaaten nach Deutschland einführt. Vor allem die Verbraucher sind schockiert darüber, was im Zuge des Hormonskandals über die Bedingungen der Kälbermast ans Licht kommt.

Wegen Mangels an Beweisen und plötzlicher Erinnerungslücken von Zeugen enden 22 der 24 Verfahren in NRW mit Freisprüchen; in einigen Fällen können und wollen die Gerichte nicht ausschließen, dass böse Konkurrenten den Kälbern in benachbarten Ställen heimlich die Hormone gespritzt haben könnten. Felix Hying wird zu drei Jahren Haft verurteilt. Sein Futtermeister Josef Vornholt kommt mit einer Bewährungsstrafe davon.

Bis heute wird gespritzt

Politische Folgen hat der Skandal keine. Da die Preise für Kalbfleisch wegen der sinkenden Nachfrage in den Keller stürzen, wird das Fleisch einfach für mehrere Monate eingelagert. Danach steigt die Nachfrage wieder.

Zwar werden nach dem Hormonskandal die Kontrollen in der Kälbermast verschärft und einige Substanzen verboten. Trotzdem sind bis heute Östrogene in der Kälbermast im Einsatz – nicht zuletzt wegen der Dumpingpreise, zu dem Kalbfleisch in den Discounterhandel kommt.

Stand: 08.08.2013

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