Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine zerrissene Nation, als Abraham Lincoln 1846 ins US-Repräsentantenhaus in Washington gewählt wird. Im Süden der USA will man sich das Recht auf Sklavenhaltung nicht nehmen lassen. Denn die Besitzer der Tabak-, Zuckerrohr- und Baumwollplantagen wollen ihren luxuriösen Lebensstil nicht aufgeben, der auf der Ausbeutung der Sklaven als billige Arbeitskräfte basiert. In den Nordstaaten, in denen sich die industrielle Produktion ausbreitet, ist die Sklaverei dagegen weitgehend abgeschafft.
Auch wenn sie im Norden nicht sicher vor Sklavenjägern sind, versuchen viele Afroamerikaner, aus dem Süden zu flüchten. Mithilfe der "Unterground Railroad", einem im Untergrund operierenden Netzwerk von Helfern, gelangen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 100.000 Schwarze in den Norden. Zusammengehalten wird das Land durch den sogenannten Missouri-Kompromiss von 1820. Demnach ist die Sklaverei nördlich des 36. Breitengrades nicht zulässig - mit der Ausnahme des Bundesstaates Missouri.
Befreite Schwarze sollen nach Afrika zurück
Als Mitte des 19. Jahrhunderts die USA wachsen und die im Westen neu besiedelten Territorien Bundesstaaten werden wollen, spitzt sich der Streit um die Sklavenhaltung zu. "Lincoln war eindeutig der Meinung, dass eine westliche Expansion ohne Sklaverei stattfinden sollte", sagt Geschichtsprofessor und Lincoln-Biograf Jörg Nagler von der Universität Jena. Der spätere US-Präsident hält allerdings die Besiedelung des amerikanischen Westens mit freien Schwarzen lange Zeit für abwegig. Er zählt zu den Anhängern der Rekolonisations-Idee: Die Schwarzen sollen die USA freiwillig in Richtung Afrika verlassen. Lincolns rassistisch gefärbte Devise für den gesellschaftlichen Status der Schwarzen lautet damals: Freiheit ja, Gleichheit nein.
Diese Haltung geht den Befürwortern der Sklaverei nicht weit genug. Als Lincoln im November 1860 zum 16. Präsidenten der USA gewählt wird, verlässt der Bundesstaat South Carolina im Dezember die Union, andere Südstaaten folgen. Im April 1861, einen Monat nach Lincolns Vereidigung, attackieren Truppen der Südstaaten Garnisonen des Nordens. Es kommt zum Bürgerkrieg. Lincolns oberstes Ziel ist es nun, die Union so schnell als möglich wieder herzustellen. Die Abschaffung des Sklavenhandels ist für ihn dabei zweitrangig: "Wenn ich die Union erhalten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, würde ich das tun. Und wenn ich sie erhalten könnte, indem ich alle Sklaven befreite, würde ich es tun. Und wenn sich sie erhalten könnte, indem ich einige befreie und andere beließe, würde ich auch das tun."
"Weit davon entfernt, der weißen Rasse gleich zu sein"
Zwei Jahre lang bekämpfen sich Nord- und Südstaaten. Dann ändert Lincoln seine Taktik. Er fällt die Entscheidung, die Sklaverei im Süden abzuschaffen - um den Gegner zu schwächen. Am 22. September 1862 legt er dem Kabinett die sogenannte "Executive Order" vor, die am Tag darauf veröffentlicht wird: Ab dem 1. Januar 1863 sollen "alle Sklaven in jenen Staaten oder Gebieten, die sich in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befinden, frei sein". Das Dokument erinnert auch an die Möglichkeit der Freilassung von Sklaven gegen Entschädigung. Mit seiner Ankündigung signalisiere Lincoln dem abtrünnigen Süden, "ich gebe euch 100 Tage Zeit, alles noch einmal zu überdenken", sagt Historiker Nagler. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in den USA rund vier Millionen Sklaven.
Doch die Südstaaten lenken nicht ein und die vorläufige Proklamation tritt in Kraft: Im Januar 1863 ergreifen fast 500.000 Sklaven, die sich in der Nähe von Truppen des Nordens befinden, die Flucht. Im Herbst desselben Jahres wird das erste Schwarzen-Regiment gegründet. Lincoln engagiert sich nun im Kongress dafür, das Sklavereiverbot in die Verfassung aufzunehmen - auch wenn er noch im August 1862 einer Gruppe prominenter Afro-Amerikaner im Weißen Haus gesagt hat: "Selbst wenn Sie aufhören Sklaven zu sein, sind Sie doch weit davon entfernt, der weißen Rasse gleich zu sein." Lincoln hält mittlerweile die Integration von Schwarzen in die amerikanische Gesellschaft doch für möglich. Allerdings erst nach einer langen Übergangsphase, in der - so seine paternalistische Sichtweise - die Afroamerikaner erzogen und gebildet werden sollen.
Sklavereiverbot wird Verfassungszusatz
Die Verabschiedung des 13. Verfassungszusatzes im Februar 1865 erlebt Lincoln noch, im April wird er Opfer eines Attentats. Eine Woche zuvor haben die Südstaaten kapituliert. Der vierjährige Bürgerkrieg mit mindestens 650.000 Toten ist beendet. Alle Bundesstaaten müssen den Verfassungszusatz ratifizieren. Der Bundesstaat Mississippi, tief im Süden, lässt sich dafür Zeit - bis 1995.
Stand: 22.09.2012
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