Mit der Industrialisierung wächst die Papierflut in deutschen Amtsstuben und Kontoren. Ein Schwabe erkennt darin eine Marktlücke: Johann Ludwig Leitz will Ordnung in die Verwaltung bringen. Der am 2. Mai 1846 im württembergischen Großingersheim geborene Sohn eines Küfers und einer Metzgerstochter lässt sich nach einer Drechslerlehre zum Mechaniker ausbilden. In dieser Zeit lernt er die sogenannten Biblorhapten kennen. Die "heftenden Bücher" stammen aus Frankreich. Bei diesem Ablagesystem werden die Dokumente fortlaufend auf Nägel aufgespießt. Louis Leitz, wie er sich bald nennt, ist überzeugt, dass mit solchen Spieß-Ordnern in verbesserter Qualität gute Geschäfte zu machen sind. Deshalb gründet er im Juli 1871 die "Mechanische Werkstatt und Faktura-Bücherei" in Stuttgart-Feuerbach.
Vier Generationen lang ein Familienbetrieb
Über 20 Jahre lang tüftelt Leitz an praktischeren Neukonstruktionen. 1893 entwickelt er eine erste Ordnungsmechanik mit Umlegebügel und Hebel. Damit wird der im Jahr zuvor entwickelte "Leitz-Registrator auf Holzbrett" abgelöst. 1896 entsteht schließlich der mittlerweile klassische Leitz-Ordner: Der Erfinder nietet seine noch einmal verbesserte Mechanik in einen Bucheinband ein. Den dazugehörigen Locher bekommt der Kunde anfangs zu jedem Ordner dazu. Der Produktname wird Teil der Bürosprache: Lochen heißt Leitzen. Als Leitz 1918 stirbt, bleibt das erfolgreiche Unternehmen in Familienhand. Vier Generationen lang führen jeweils die Söhne den Betrieb.
Einer der größten Konkurrenten ist die Firma Soennecken mit Sitz in Bonn. Mit ihr wird ein zermürbender Patent-Rechtsstreit geführt. Es geht um die "Hebelmechanik mit Rolle", das "Griffloch im Einband" oder die Normierung der Loch-Abstände. Bei Leitz misst der Abstand acht Zentimeter, bei Soennecken sind es sieben Zentimeter. 1926 setzt sich Leitz mit seinen acht Zentimetern bei der Deutschen Industrie-Norm durch.
Starker Umsatz während der Nazi-Zeit
Als 1933 Adolf Hitler die Macht übernimmt, schluckt die Firma Leitz die "Grünewald's Registrator Co. Aktiengesellschaft" (Gerco) zu einem Spottpreis. Der Grund: Der Hauptteilhaber der Gerco ist Jude. In einem Rundschreiben vom 26. April 1933 verkündet die Leitz-Firmenleitung, dass Gerco "nun rein arisch" sei. Leitz profitiert von der Reglementierungs- und Verwaltungswut der Nazis. Ordner sind im "Dritten Reich" sehr gefragt. Im Geschäftsjahr 1938/39 beträgt der Rekordumsatz sieben Millionen Reichsmark. Die Firma hat nun 750 Beschäftigte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind zwar Teile der Fabrik in Stuttgart zerstört, aber schon 1952 wird der Umsatz des Vorkriegsjahres wieder erreicht. 1967 wird Erz-Rivale Soennecken übernommen und abgewickelt. Nach hohen Umsätzen in den 1970er Jahren wächst der Büromittelmarkt auch nach Einführung des Computers weiter. Der Albtraum von Leitz, das papierlose Büro, wird nicht Realität. Als größere Bedrohung erweist sich hingegen die Globalisierung. International agierende Büroartikel-Handelsketten setzen Leitz im Preiskampf zu. 1998 endet deshalb die Familienära: Die Leitz-Erben verkaufen ihr Unternehmen an den schwedischen Büroartikel-Hersteller Esselte. Ein Großteil der 2.500 Mitarbeiter wird entlassen. 2002 wird Esselte wiederum von einem US-Investor übernommen. Die Marke Leitz bleibt aber weiterhin bestehen.
Stand: 02.05.2011
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