Stichpunkt

1. Juni 1891 - Paul Gauguin beginnt sein Leben in der Südsee

Leicht bekleidete oder barbusige junge Frauen vor bunter Kulisse - der französische Maler Paul Gauguin malt Ende des 19. Jahrhunderts in der Südsee ein erotisches Paradies unter Palmen. "Durch ihr außerordentlich durchsichtiges rosa Musselinkleid war die goldene Haut der Arme und Schulter zu sehen. Zwei Knospen standen prall auf den Brüsten", schreibt Gauguin in seinem Buch "Noa Noa". Seine Bilder werden später millionenfach auf Postkarten und Postern verbreitet und prägen die europäischen Vorstellungen über die Südsee. Dabei hat sich Gauguin diese Idylle vor allem ausgedacht. Tatsächlich ist sein Leben dort alles andere als paradiesisch. In einem Brief an seine Frau Mette schreibt Gaugin, der auf Tahiti mit einer 13-Jährigen zusammenlebt: "Hier ist das Leben sehr teuer, und ich ruiniere meine Gesundheit, da ich nicht esse. Ich spüre, wie ich alt werde, und zwar schnell."

Frau und Kinder verlassen

Gauguin, der am 7. Juni 1848 in Paris zur Welt kommt, ist zeitlebens viel unterwegs. Schon kurz nach der Geburt reist seine Familie nach Peru, wo er bis zu seinem siebten Lebensjahr wohnt. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich heuert er als junger Mann als Handelsmatrose an. Dann macht er als Börsenmakler in Paris Karriere - bis zum Börsencrash 1882. Der 35-jährige Vater von vier Kindern - das fünfte ist unterwegs - beschließt, zugunsten der Malerei auf Geld und Luxus zu verzichten. Seine Frau Mette zieht später mit den Kindern zu ihrer Familie nach Dänemark, um über die Runden zu kommen. Gauguin hat, wie Kunsthistoriker Edgar Lein sagt, zunächst Anschluss an die Impressionisten, "die sich gegen die traditionelle Malweise abgesetzt haben." Nicht im Atelier wollen sie malen, sondern in der Landschaft. Gauguin baut seine Staffelei an verschiedenen Orten auf und entwickelt allmählich seinen eigenen Stil: in Paris, an der schroffen Küste der Bretagne, auf der karibischen Insel Martinique und im südfranzösischen Arles bei Vincent van Gogh.

"Die Abstraktion vorbereitet"

Im April 1891 bricht Gauguin zu seinem ersten Aufenthalt in die Südsee auf. Anfang Juni 1891 landet er im Hafen von Papeete, der Hauptstadt von Tahiti. Doch Gauguin findet die andere Welt nicht, die er gesucht hat. "Die Missionare hatten dafür gesorgt, dass die Tahitier französisch und katholisch geworden waren", sagt Professor Lein. So malt Gauguin nicht das, was er tatsächlich vorfindet, sondern seine Idee vom Paradies. Seine Tahiti-Bilder enthalten deshalb auch Zitate von Kultstätten aus Indien, Afrika und den Osterinseln. 1893 kehrt Gauguin nach Frankreich zurück. Dort werden die intensiven Farbflächen und exotischen Sujets seiner Bilder bestaunt. Gauguins Werk geht als ein Wegbereiter der Moderne in die Geschichte ein. "Er ist der Künstler, der die Abstraktion vorbereitet", so der frühere und mittlerweile verstorbene Direktor des Essener Folkwang-Museums, Georg Költzsch. "Es gibt bei ihm rote Hunde, wie später blaue Pferde bei Franz Marc."
1895 reist Gauguin zum zweiten Mal nach Tahiti, sechs Jahre später siedelt er auf die zur Marquesas-Gruppe gehörende Insel La Dominique (Hiva Oa) über. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich immer mehr. Seine Beine sind zerfressen von Ekzemen, eine Folge seiner Syphilis. Gauguin will zurück nach Frankreich. Doch damit würde er seine eigene Legende vom Leben im Paradies zerstören. "Sie sind jetzt dieser seltsame, legendäre Künstler, der aus der Tiefe Ozeaniens seine bestürzenden, unnachahmlichen Werke schickt", schreibt ihm ein Freund aus Paris. "Sie dürfen nicht wiederkommen." Gauguin stirbt am 8. Mai 1903 mit knapp 55 Jahren in Atouana auf La Dominique.

Stand: 01.06.2011

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