Stichtag

27. März 1971 - "Wünsch Dir was"-Kandidatin droht zu ertrinken

Auf tragische Weise schreibt Samuel Koch am 4. Dezember 2010 im ZDF Fernsehgeschichte. Bei seinem Sturz in "Wetten, dass..?" erleidet der Autospringer als erster Show-Kandidat im deutschen Fernsehen vor Millionen Zuschauern lebensgefährliche Verletzungen. Kleinere Blessuren, Schürfwunden und auch mal ein Knochenbruch, all das kam schon vor in 60 Jahren Unterhaltungsfernsehen. Allein die Schmierseifen-Olympiade "Spiel ohne Grenzen" bringt es auf eine beachtliche Verletztenliste. Derart verhängnisvolle Unfallfolgen wie bei der Wette von Samuel Koch drohte Showkandidaten jedoch bislang nur ein einziges Mal – vor 40 Jahren, ebenfalls im ZDF.

Tabubruch am Samstagabend

"Wünsch Dir was" heißt von 1969 bis 1972 das Eurovisions-Flaggschiff am Samstagabend. Von Dietmar Schönherr und Ehefrau Vivi Bach in progressiv-linkem Grundtenor moderiert, gilt "Wünsch Dir was" als Eklat-Garant. Mit innovativen und querdenkerischen Spielideen interpretiert die Show den Begriff Familienunterhaltung völlig neu. Drei Familien aus jeweils Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen im Wettstreit bei pädagogisch wertvollen Herausforderungen Gemeinsinn und Zusammenhalt beweisen. Dabei scheuen die "Wünsch Dir was"-Macher keinen Tabu-Bruch, was anderntags zuverlässig zu öffentlicher Empörung führt, aber auch so manche gesellschaftliche  Diskussion zu Themen der Zeit anstößt.

Im November 1970 erregt eine 17-jährige Kandidatin ganz Fernseh-Deutschland, als sie selbstbewusst mit wippenden, von einer transparenten Bluse nur unwesentlich verhüllten Brüsten vor die Kameras tritt. In der folgenden "Wünsch Dir was"-Ausgabe am 27. März 1971 soll sich die Schweizer Familie Dreier unter Wasser in einem drei Meter tiefen Pool aus einem Auto befreien. "Wenn Sie gut aufpassen", belehrt Dietmar Schönherr das Publikum, "könnte dieses Spiel einmal dazu beitragen, Ihnen vielleicht das Leben zu retten." Wenige Minuten später wird aus der inszenierten Rettungsübung um ein Haar lebensbedrohlicher Ernst.

Gute Miene zum gefährlichen Spiel

Während Vater, Sohn und Tochter sich bereits Sekunden nach dem Eintauchen ohne Probleme aus dem Auto befreien, bekommt Mutter Dreier es mit der Angst zu tun. Es gelingt ihr nicht, die Tür zu öffnen. In Panik versucht sie, sich durch das Seitenfenster zu zwängen und bleibt hängen. Sofort kommen Froschmänner der 46-Jährigen zu Hilfe. Nach wenigen, aber quälend lang erscheinenden Sekunden ziehen sie die Frau an die Oberfläche. Obwohl Irene Dreier einiges an Wasser schlucken musste, lächelt sie kurz darauf schon wieder tapfer in die Kamera. Mit zitternden Knien macht sie gute Miene zum gefährlichen Spiel: "Es war halb so schlimm." Die Show kann weiterlaufen wie geplant.

"Bei Dietmar ging auch die gute Laune baden" titelt darauf die "Neue Ruhr Zeitung". "Das war grausam, Herr Schönherr" schimpft "Bild". Angeheizt durch den nur wenige Wochen zuvor gesendeten Pseudo-Doku-Schocker "Das Millionenspiel" entbrennt in Deutschland erstmals eine heftige Diskussion über die Frage: Wie weit darf Fernseh-Unterhaltung eigentlich gehen?

Stand: 27.03.2011

Programmtipps:

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