Stichtag

22. Juni 2010 - Vor 100 Jahren: Geburtstag von Konrad Zuse

Seine Eltern sind nicht entzückt, als ihr Sohn im Jahre 1936 die damals aussichtsreiche Karriere als Statik-Ingenieur im Flugzeugbau aufgibt und im Wohnzimmer eine Baustelle errichtet. Der 26-jährige Konrad Zuse, geboren am 22. Juni 1910 in Berlin, sagte ihnen: "Ich will jetzt hier eine Rechenmaschine bauen." Eine Blechkiste entsteht – auf einer Fläche von vier Quadratmetern. Zuse ist besessen von der Idee, einen vollautomatischen, programmierbaren Rechner zu bauen: "Ich war einfach zu faul zum Rechnen." Statik-Ingenieure führen den ganzen Tag komplizierte, aber monotone Rechnungen durch. Als Hilfe gibt es damals nur Rechenschieber und Tischrechenmaschinen für die vier Grundrechenarten. Was Zuse antreibt: "Ich will das Problem so lösen, dass in Zukunft diese geisttötende Arbeit von Maschinen geleistet wird."

2.500 Telefonrelais im Urzeit-Computer

Bisher arbeiten Rechenmaschinen mit Zahnrädern und im Dezimalsystem: Grundlage sind zehn Ziffern. Zu kompliziert, findet Zuse. Von Gottfried Leibniz übernimmt er die binäre Arithmetik aus dem 17. Jahrhundert: An-Aus, Eins-Null, Ja-Nein. Die Programmierung läuft über Lochstreifen; statt Papier benutzt Zuse alte Kinofilmstreifen. Er prophezeit, sein programmgesteuerter Rechenautomat könne irgendwann das Wetter vorhersagen und den Schachweltmeister schlagen. Doch zunächst funktiniert das erste Modell, die Z1, nicht. Für den zweiten Versuch verwendet er Telefon-Relais. Die Teile besorgt er im Altwarenhandel, denn viel Geld hat er nicht. Im gleichen Jahr wird die Z3 fertig. Und sie funktioniert. Die Maschine ist fast drei Meter hoch, zwei Meter breit und tonnenschwer. 2.500 Telefon-Relais arbeiteten darin, es klackert unablässig, man hört jedes einzelne Bit arbeiten. Die Taktfrequenz beträgt fünf Hertz, das sind fünf Schaltvorgänge in der Sekunde. Zum Vergleich: Heute arbeiten Rechner mit bis zu drei Giga-Hertz, also drei Milliarden Schaltungen pro Sekunde. Zuses elektromechanischer Abakus beherrscht nur die Grundrechenarten und kann Quadratwurzeln ziehen. Die Z3 arbeitet  digital, ihre grundlegende Logik ist die eines modernen Computers. Zuse nennt sie "die erste vollautomatische, programmgesteuerte und frei programmierbare, in binärer Gleitrechnung arbeitende Rechenanlage".

Amerikaner überholen Zuse

Damals aber weiß die Welt nichts von seiner Erfindung, denn sie fällt mitten in der Zweiten Weltkrieg. Umgekehrt erfährt auch Einzelkämpfer Zuse erst Jahre später, dass Amerikaner und Briten zur gleichen Zeit Rechenmaschinen bauen. In Großbritannien entwickelt Alan Turing den Röhrenrechner "Colossus" – den Computer, der den Code der deutschen Chiffriermaschine "Enigma" knacken soll. In den USA präsentiert Howard Aiken von der Harvard Universität 1943 den "Harvard Mark I". Die Gruppe um John von Neumann nutzt ihn bald zum Bau der ersten Atombombe. Obwohl Zuses Rechner den Konkurrenten weit voraus ist, wird er - im Gegensatz zu späteren Computerpionieren - nicht reich durch seine Erfindung. Die Amerikaner überholen die deutsche Erfindung bald. Zuses Patentantrag, behindert durch den Krieg, bleibt 26 Jahre liegen und wird schließlich abgelehnt. Zuse bleibt ein Leben lang Erfinder und Unternehmer, zieht sich aber im Alter zunehmend zurück und malt Ölbilder. Am 18. Dezember 1995 stirbt er im Alter von 85 Jahren an einem Herzinfarkt.

Stand: 22.06.10