Rentenkasse, Krankenversicherung, Hinterbliebenen-Fürsorge - die deutsche Sozialgesetzgebung wird häufig mit Reichskanzler Otto von Bismarck verbunden. Doch streng genommen hat er Ende des 19. Jahrhunderts seine Reformen abgekupfert: bei den Bergleuten. In Thüringen, im Harz, im Saarland und im Ruhrgebiet hatten sie längst selbst Versicherungskassen zur materiellen Absicherung in Notlagen gebildet: die sogenannten Knappschaften. Denn kaum ein Beruf ist so gefährlich: Bei der Suche nach Erzen drohen einstürzendes Gestein und durchbrechendes Grundwasser, beim Steinkohle-Bergbau zusätzlich auch noch Explosionen durch leicht entzündbare Gase. Das ist schon im Mittelalter so, als Silber und Kupfer abgebaut werden.
Johannis-Brüder gelten als Urzelle
Weil sich sonst niemand um sie kümmert, greifen Bergleute zur Selbsthilfe und schließen sich zu Bruderschaften zusammen. Die älteste belegte Quelle für einen solchen Zusammenschluss stammt aus Goslar. Dort wird am 28. Dezember 1260 in einer Urkunde die bergbauliche Bruderschaft Sankt Johannis am Rammelsberg erstmals erwähnt, "welche im Geist göttlicher Liebe der Unterstützung der Armen und Schwachen dient, die durch die Arbeit im vorgenannten Berge von körperlichen Gebrechen und materieller Not heimgesucht werden." Bischof Johann von Hildesheim sichert in der Urkunde der Gruppe seinen Schutz zu.
Die Johannis-Brüder gelten als Urzelle der später sogenannten Knappschaftsbewegung, die in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Vorreiter ist. Das älteste Knappschaftskrankenhaus wird zum Beispiel 1856 im Aachener Kohle-Revier in Würselen-Bardenberg eröffnet. Es ist ganz auf die typischen Verletzungen und Krankheiten des Bergbaus zugeschnitten, etwa mit den Abteilungen Neuro-Chirurgie für Kopfverletzungen und Orthopädie für Knochenbrüche.
Sozialpolitische Meilensteine
Die Bergleute entwickeln früh ein ausgeprägtes Standesbewusstsein, das von den Herrschenden respektiert wird - aus wirtschaftlichem Kalkül. Denn die Bergarbeiter fördern jene Schätze zutage, die den Landesfürsten Reichtum bringen. Dieser Sonderstatus wird im "Preußischen Knappschaftsgesetz" von 1854 besiegelt. Das Gesetz enthält drei wesentliche sozialpolitische Meilensteine: die Einführung der Versicherungspflicht, des Versicherungsprinzips Leistung gegen Beitrag und die Selbstverwaltung, also das Mitspracherecht der Versicherten. Das ist die Vorlage für die allgemeine Sozialversicherungspflicht für alle abhängig Beschäftigten, wie sie unter Bismarck eingeführt wird - allerdings erst drei Jahrzehnte später.
Mit dem Zechensterben im 20. Jahrhundert nimmt ebenfalls die Zahl der Knappschaften ab. Als 1969 die Einheitsgesellschaft Ruhrkohle gegründet wird, fusionieren auch die letzten acht regionalen Kassen zur Bundesknappschaft. Im Rahmen der Hartz-Reformen erhält sie 2003 eine zusätzliche Aufgabe: die Verwaltung der sogenannten Minijob-Zentrale. Zwei Jahre später wird die Knappschaft mit der Kasse der Seeleute und dem Versorgungswerk der Bahn zusammengelegt.
Stand: 28.12.10