Jerzy Popieluszko hat Angst. Es ist der 19. Oktober 1984. Der katholische Priester der Warschauer St. Stanislaus Gemeinde ist eingeladen zu einer Predigt im Provinzstädtchen Bydgoszcz (Bromberg), nordwestlich der Hauptstadt. Erst vor sechs Tagen ist Popieluszko knapp einem Attentat entgangen. Die polnische Geheimpolizei hatte einen Unfall inszeniert. Popieluszkos Fahrer konnte aber noch rechtzeitig ausweichen. Nach dem Vorfall ist der Geistliche verändert: Er weint in den Armen eines befreundeten Priesters. Bereits zwei Monate zuvor hatte Popieluszko Nonnen gebeten: "Betet dafür, dass ich nicht allein sein werde im Augenblick meines Todes." Die Fahrt nach Bydgoszcz unternimmt er trotz aller Warnungen und Vorahnungen. "Er hatte Angst vor dem Tod, aber er nahm mit Demut das an, was Jesus Christus für ihn vorgesehen hat", erklärt Regisseur Rafal Wieczynski. Er hat im Frühjahr 2009 den Spielfilm "Die Freiheit ist in uns" über Popieluszkos Engagement und das wohl bekannteste Todesopfer der kommunistischen Herrschaft im Land in die Kinos gebracht.
Popieluszko wird am 14. September 1947 als Sohn armer Bauern in einem kleinen Dorf in Ostpolen geboren. Bereits als Kind ist er sehr anfällig und leidet sein Leben lang unter Krankheiten. Früh entscheidet er sich, katholischer Priester zu werden. Er wählt Maximilian Kolbe als Vorbild, den Priester, der sich in Auschwitz für einen anderen Gefangenen geopfert hat. Zunächst sind Popieluszkos Stationen unspektakulär, aber bei seinen Gemeinden ist er von Anfang an beliebt: "Er konnte gut zuhören, und er wog seine Worte genau ab", sagte Wieczynski. "Er sagte nur das, was er auch getan hätte. Dadurch war er so authentisch und glaubwürdig."An einem Sonntag im August 1980 wendet sich Popieluszkos Leben. Die Arbeiter des Warschauer Stahlwerks haben wochenlang gestreikt. Sie haben sich der von Danzig ausgehenden Protestwelle und der neu gegründeten Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) angeschlossen. Bevor sie ihren Streik beenden, wollen sie sich auf dem Werksgelände zu einem Gottesdienst versammeln. Alle Warschauer Priester sagen ab, Popieluszko aber hält die Messe. Er betet: "Segne, oh Herr, die Solidarność. Segne, oh Herr, Dein treues Volk." Bald hält er jeden Monat ein Predigt "für das Vaterland". Mehr als 10.000 Gläubige hören ihm jeweils zu. Er wird zu einer der Symbolfiguren des Widerstands.
Die Leitung der katholischen Kirche in Polen ist von Popieluszkos Auftritten nicht begeistert. Sie versucht mit der Regierung Kompromisse auszuhandeln. Der ranghöchste Bischof, Primas Kardinal Józef Glemp, will Popieluszko überreden, sich nach Rom zurückzuziehen. Aber der bleibt in Warschau, auch als die Regierung von 1981 bis 1983 das Kriegsrecht verhängt und die Solidarność verbietet. Papst Johannes Paul II. unterstützt Popieluszkos Haltung. Im Frühjahr 1984 wird es für den Priester gefährlich. Er wird 13 Mal verhört. Die Geheimpolizei findet in seiner Wohnung Waffen - die sie selbst zuvor dort versteckt hat. Der Geistliche setzt der Repression das Gefühl entgegen, innerlich frei zu sein.Am 19. Oktober 1984 wird Popieluszkos Wagen auf der Rückfahrt von Bydgoszcz gestoppt. Drei Männer fesseln den 37-jährigen Priester, schlagen ihn und werfen ihn in den Kofferraum. Sein Fahrer alarmiert die Kirchenleitung. Elf Tage bleibt Popieluszko verschwunden. Seine Entführer werden inzwischen gefasst. Es sind drei Offiziere des Geheimdienstes - das gibt die Regierung zu. Am 30. Oktober 1984 wird Popieluszkos Leiche in einem Stausee der Weichsel, nordwestlich von Warschau, gefunden. Seine Mörder hatten vergeblich versucht, seinen Leichnam mit Steinen beschwert in dem Fluss zu versenken. Die Täter werden zu Haftstrafen verurteilt. Wer den Mordbefehl gegeben hat, ist bis heute nicht geklärt.
Stand: 30.10.09