Heimat plus Film - das ist im bundesrepublikanischen Nachkriegskino gleichbedeutend mit trivialen Klischees wie Schwarzwaldmädel, Silberwald-Förster und Immenhof-Seligkeit. Mitte der 80er Jahre aber gelingt es dem Autor und Regisseur Edgar Reitz, den verkitschten Heimat-Begriff gründlich zu entstauben und mit völlig neuen Inhalten zu beleben. Seine in einem kleinen Hunsrückdorf angesiedelte Fernsehfilm-Reihe "Heimat - Eine deutsche Chronik" schlägt einen Bogen über die Familiengeschichte dreier Generationen, von der Weimarer Republik bis in die 80er Jahre. In 16 Filmstunden, aufgeteilt in elf Folgen, erzählt Reitz mit viel Sympathie, Intensität und Liebe zum Detail vom Alltagsleben kleiner Handwerksleute und Bauern. Gleich die Auftaktfolge der von WDR und SFB produzierten Hunsrück-Saga, gesendet am Sonntag, dem 16. September 1984 um 20.15 Uhr, erreicht eine sensationelle Einschaltquote von 50 Prozent.
"Faszinierend war diese Dorf- und Familienchronik vom ersten Augenblick an. Sie nahm einen gefangen", lobt der Fernsehkritiker des Bonner General-Anzeigers nahezu unisono mit Zuschauern und Fachkollegen. Fünf Jahre lang hat Reitz an seinem "Wahnsinnsprojekt", so hochachtungsvoll der Filmproduzent Bernd Eichinger, gearbeitet. 32 Profi-, 159 Laienschauspieler sowie rund 4.000 Komparsen lassen die Schicksale von Menschen lebendig werden, die keine Geschichte schreiben, in ihrem kleinen Dorf Schabbach aber immer wieder mit den Verwerfungen der großen Weltgeschichte zurecht kommen müssen. Schabbach ist ebenso wie die im Mittelpunkt stehende Familie Simon fiktiv. Doch der 1932 im Hunsrück geborene Edgar Reitz und sein Co-Autor Peter Steinbach haben ihre Geschichten und Anekdoten aus der Region derart genau recherchiert, dass "Heimat" trotz aller erzählerischer Raffinesse auch dokumentarischen Ansprüchen Stand hält.
Obwohl das von den Darstellern gesprochene authentische Hunsrücker Platt nicht immer leicht zu verstehen ist, bleiben die Zuschauer der "Heimat" begeistert über alle elf Folgen treu - und das nicht nur in der Bundesrepublik. Selbst die Briten verfolgen das von der BBC im Original mit Untertiteln gesendete Reitz-Meisterwerk jedes Mal in knapp drei Millionen Haushalten. Insgesamt schnuppern Zuschauer in knapp 20 Ländern Hunsrücker Heimatluft, darunter auch in Brasilien, China und Japan.Ermutigt vom immensen Erfolg seiner vielfach preisgekrönten Familien-Saga, dreht Edgar Reitz weiter. Zunächst folgt "Die Zweite Heimat - Chronik einer Jugend", die in der Münchener Studentenszene der 60er Jahre spielt und von 1992 an in 13 Folgen ausgestrahlt wird. "Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende" aus dem Jahr 2004 komplettiert das nun insgesamt 52 Fernsehstunden lange Epos um die Familie Simon bis in die Zeit nach dem Mauerfall. Ursprünglich übrigens hatte Edgar Reitz für sein Projekt den Titel "Geheischnis" im Sinn, nach einem Hunsrück-Wort, das für Wärme und Vertrautheit steht. Der damals ebenso provokante wie publikumswirksame Titelvorschlag "Heimat" stammt vom "Unendliche Geschichte"-Produzenten Bernd Eichinger.
Stand: 16.09.09