Lange stinkt die Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse in Frankreich zum Himmel. Bereits 1670 bittet ein ehrenwerter Pariser Bürger den König, "eine große Anzahl von Leibsstühlen aufstellen zu dürfen, wo jeder seine natürlichen Bedürfnisse verrichten und freundlicherweise etwas dafür geben kann". 60 Jahre später verleiht ein Mann einen Nachttopf samt Verhüllungstuch, wobei er den Topf allerdings erst nach seiner vollständigen Füllung leert.
Unter Ludwig XV. werden an den großen Straßenkreuzungen von Paris Pinkeltonnen aufgestellt: offene Kübel, die nach Zeitgenossenberichten "Auge und Nase so unangenehm angreifen, dass man dieser beiden Sinnesorgane beraubt sein muss, um sich ihnen ohne Ekel nähern zu können". Eine hygienischere Vorrichtung für die Verrichtung schaffte erst der Herzog von Orlèans: Er macht viel Geld mit zwölf Aborten, die er in seinem Palais Royal errichten lässt. "Die Abtritte und Becken sind sehr sauber und gepflegt", schwärmt ein Augen- und Nasenzeuge. "Das Personal sieht genauso gepflegt aus wie Kellner. Drei Männer sind täglich damit beschäftigt, Papier in die richtige Größe zuzuschneiden, was sie sehr geschickt vollführen."Ganz so gepflegt sind die ersten Pissotière-Säulen nicht, die in Paris am 19. Juli 1839 errichtet werden. Sie dienen ausschließlich den Männern für jene Geschäfte, die problemlos im Stehen zu erledigen sind. Die Ein-Personen-Urinale sind im Stil islamischer Minarette gehalten. Gekrönt werden sie von einer Kugel samt Spitze. Heute weiß niemand mehr genau, warum sich die Pissotière orientalisch geben. So oder so aber entwickelt sich "à la turque" in Frankreich zum festen Begriff für das Steh-Klo.
Für Frauen gilt damals mehr als ein Toilettengang am Tag als unschicklich. Erst 1902 entstehen auch für sie rund ein Dutzend "Notdurft-Chalets". Zu dieser Zeit gibt es für männliche Bürger schon 5.200 Stehplätze in 1.600 eisernen, steinernen oder blechernen Bedürfnisanstalten.In den siebziger Jahren werden die Pissotières in Paris abgeschafft und durch selbstreinigende "Sanisettes" ersetzt. Ein einziges Urinal der Gründerzeit bleibt für die Taxifahrer am Santé-Gefängnis bestehen.
Stand: 19.07.09