Am Mittag des 14. September 1901 rollt ein Sonderzug in den Bahnhof von Buffalo im US-Bundesstaat New York. Unter den wenigen Passagieren sticht ein völlig verdreckter, unrasierter Mann in Abenteurerkluft hervor. In der Nacht hat man ihn in den Bergen aufgespürt und durch Regen und Matsch in die Stadt nahe der Niagara-Fälle gebracht. Am Tag zuvor ist US-Präsident William McKinley in Buffalo an den Folgen eines Attentats gestorben. Kaum zwei Stunden nach seiner Ankunft wird der übernächtigte Bergwanderer, Vize-Präsident Theodore Roosevelt, im geliehenen Anzug als 26. und jüngster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt.
Das Land, in dem der am 27. Oktober 1858 geborene Sohn aus vermögendem Haus aufwächst, erlebt seit dem Ende des Bürgerkriegs 1865 einen Wirtschaftsboom ohnegleichen. Doch die ungezügelte Industrialisierung der USA offenbart auch immer mehr Schattenseiten. Zunehmend leiden große Teile der Bevölkerung unter Hungerlöhnen, miserablen Arbeitsbedingungen und katastrophalen hygienischen Zuständen. So entstehen um 1890 unter dem Sammelbegriff "progressive movement " Reformbewegungen, die sich unter anderem für Umweltschutz, gesundheitliche Belange und die Rechte von Arbeitern einsetzen. Zu ihnen gehört auch der gebildete und weit gereiste Republikaner Theodore Roosevelt, der 1901 als erster erklärter "Progressiver" ins Weiße Haus einzieht. Als Präsident setzt sich Roosevelt zum Ziel, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft neu zu definieren.
Er wendet sich gegen die herrschende Doktrin des "Nachtwächterstaates", dessen Regierung umso besser ist, je weniger sie regulierend ins Wirtschaftsleben eingreift. Damit steht Roosevelt für die Anfänge des amerikanischen Wohlfahrtsstaats. Er zwingt die "trusts", die Konzerne von übermächtigen Magnaten wie Carnegie oder Rockefeller, unter gesetzliche Kontrolle, begründet zahlreiche Nationalparks und ernennt gegen heftigste Widerstände einen Schwarzen, den Sozialreformer Booker T. Washington, zu seinem Berater. Roosevelts Außenpolitik ist klar von hegemonialem Denken geprägt; als erster Präsident sieht er die USA in der Rolle einer aktiven Ordnungsmacht, die weltweit bei Krisen interveniert. Zur Sicherung der wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA forciert er den Bau des Panama-Kanals. Wie keiner seiner Vorgänger inszeniert sich der "Naturbursche" Roosevelt in der Öffentlichkeit als Familienvater und Privatmensch. Ab 1909, nach Ende seiner zweiten Amtszeit, unternimmt er mehrere Großwildjagden. Bei einer Expedition im Amazonasbecken zieht sich Roosevelt eine Infektion zu, an deren Folgen er am 6. Januar 1919 im Alter von nur 60 Jahren stirbt.
Stand: 27.10.08