Stichtag

27. April 2008 - Vor 10 Jahren: Tod der Skandal-Autorin Dominique Aury

Ausnahmsweise ist Albert Camus  mit den meisten seiner Landsleute einer Meinung. "Das kann niemals eine Frau geschrieben haben". Mit "das" meint Frankreichs großer Existenzialist einen Welt-Bestseller: den 1954 unter dem Pseudonym Pauline Réage  veröffentlichten Roman "Die Geschichte der O". Der Ich-Erzähler schildert darin detailliert die freiwillige sexuelle Unterwerfung einer jungen sado-masochis-tischen Modefotografin. "Als menschliches Wesen geht sie ihrer Auslöschung, als geschlechtliches ihrer Erfüllung entgegen", schreibt die US-Publizistin Susan Sontag. Doch wie die "O" ihr Glück in der lustvollen Qual sucht, wie sie sich auspeitschen, vergewaltigen, in Ketten legen und brandmarken lässt, das scheint den Wunschträumen eines männlichen Verehrers des Marquis de Sade entsprungen zu sein.

Als Ende der 60er Jahre erste Gerüchte über die wahre, weibliche Urheberschaft des Literatur-Pornos auftauchen, bringt das die vorherrschende öffentliche Wahrnehmung weiblicher Sexualität gehörig durcheinander. Sollte tatsächlich eine Frau Verfasserin dieses Parforce-Ritts durch das Reich der polymorphen Perversionen sein, so befürchtet "Die Zeit", werde davon die "Zukunft der Emanzipation der Geschlechter abhängen". Bestätigt wird die weibliche Autorenschaft erst 1994, von der inzwischen 86-jährigen Schriftstellerin persönlich. Vier Jahre vor ihrem Tod am 27. April 1998 kontert Dominique Aury das mediale Erstaunen auf ihre Lebensbeichte mit der schlichten Frage: "Warum sollen Frauen anständiger sein?" Sie habe sich schon als Jugendliche vorgestellt, unter dem Haus ihrer Eltern sei ein Verließ voller in Ketten gelegter Frauen.

Dominique Aury gehört im Frankreich der 50er Jahre zum Establishment. Die Journalistin macht sich als Kritikerin, Lektorin und Übersetzerin einen Namen. Als Generalsekretärin der Literaturzeitschrift "Nouvelle Revue Francaise" ist sie Teil der Intellektuellen-Szene um Jean-Paul Sartre und Albert Camus. "Die Geschichte der O" entsteht aus Liebe zu ihrem 20 Jahre älteren Lebensgefährten, dem Schriftsteller und Verleger Jean Paulhan. "Ich bin nicht mehr jung, nicht hübsch, ich muss andere Waffen finden", denkt sich die 1907 geborene Aury. Um den als großen de-Sade-Kenner bekannten Paulhan weiter an sich zu fesseln, lässt die Dame von Welt ihre Fantasie von der Leine. "Im Dämmer zwischen Tag und Schlaf" bringt sie ihre obszöne Geschichte zu Papier - mit Erfolg: Nicht nur, dass der vergötterte Jean seiner Dominique in Liebe und Lust verbunden bleibt. Paulhan ist von Aurys Roman so begeistert, dass er dem Werk ein enthusiastisches Vorwort widmet, für die Veröffentlichung sorgt und mit seinem Einfluss alle amtlichen Zensurbemühungen vereitelt.

Stand: 27.04.08