Stichtag

16. Oktober1912: Geburtstag der Künstlerin Lotti Huber

Affengeil ist das Leben, findet die "unwürdige Greisin mit schlechtem Geschmack" (Frankfurter Rundschau). Ob sie auf der Leinwand ihren Po entblößt, unanständige Lieder singt oder als Trash-Walküre über die Bühne hopst - Lotti Huber liebt das Ordinäre. "Worüber würdet ihr denn lachen, wenn ich nicht wäre?" lautet das Motto ihres dritten und schrillsten Lebensabschnitts. Nur anderthalb Meter groß und doch unübersehbar liefert Lotti Huber lustvoll den Beweis, dass Alter Spaß machen kann. Die große Senioren-Sause beginnt Ende der 70er Jahre in Berlin, mit Filmstatistenrollen und der Bekanntschaft mit Rosa von Praunheim. Wohlmeinende Warnungen, der schwule Szene-Regisseur werde sie ausquetschen wie eine Zitrone, schießt die fast 70-Jährige in den Wind: "Diese Zitrone hat noch viel Saft."

Saft und Energie hat das Leben der am 16. Oktober 1912 in Kiel geborenen Charlotte Goldmann bis dahin reichlich abverlangt. Grausam beenden die Nazis die jungen, unbeschwerten Jahre der jüdischen Kaufmannstochter. Ihre große Liebe, der Sohn des Kieler Oberbürgermeisters, wird von der Gestapo wegen "Rassenschande" ermordet; sie selbst kommt ins Konzentrationslager. Doch Lotti hat Glück im Unglück. Nach einem Jahr wird sie von einer US-Organisation freigekauft und reist nach Palästina. Schnell gewinnt die nach eigenen Worten geborene Selbstdarstellerin wieder Boden unter den Füßen, avanciert zum Nachtclub-Star der britischen Truppen und lernt ihren ersten Mann, einen britischen Offizier, kennen. Nach turbulenten Jahren in Ägypten und London richtet ihr der notorische Fremdgänger auf Zypern eine Bar ein und lässt sie sitzen.

Ehemann zwei lässt nicht lange auf sich warten. Ein britischer Offizier namens Huber entdeckt sein Herz für die inzwischen 45-jährige Lotti. Mit ihm zusammen wagt sie 1965 die Rückkehr nach Deutschland, nach Berlin. Sieben glückliche Jahre sind ihr vergönnt, in denen die aparte, weltgewandte Lotti Huber eine Mannequin-Schule leitet und Tanzunterricht erteilt. Dann stirbt der über alles Geliebte und sie fällt in ein tiefes Loch. Nach einem Jahr im Suff und nun über sechzig kann sie sich wieder aufrappeln, übersetzt Kitsch-Romane, preist Jägermeister in Kaufhäusern an und gibt Benimm-Kurse. Als sie 1979 einen Schüler zu einer Künstleragentur begleitet, wird Lotti Huber selbst entdeckt. Acht Filme dreht die stets in wallende Gewänder gehüllte Diva der Berliner Subkultur in den folgenden "affengeilen" Jahren. Auf einem schmalen Grat zwischen Komik und Pathos, Lebensweisheit und Kitsch verwandelt sie das Leben zu ihrer persönlichen Theaterbühne. Bis zum Tod steht Lotti Huber im Rampenlicht. Fast 85 und voller Energie ist sie, als sie am 31. Mai 1998 überraschend an den Folgen einer Lungenentzündung stirbt.

Stand: 16.10.07