Übt sich der Konzertgeiger Demetrius Polyzoides in Pizzicati und Capricen von Niccolo Paganini, kommt ihm dabei häufiger ein klassisches "Scheiße" über die Lippen. Seit Tagen schon feilt der erfahrene Kölner Profi-Musiker daran, die Notenkaskaden des italienischen Meistergeigers und Komponisten mit der gebotenen Virtuosität in Töne zu verwandeln. Das Ergebnis sind Finger voller Blutergüsse und die Einsicht, an den eigenen Grenzen zu kratzen. Nicht nur Polyzoides tröstet sich damit, dass der am 27. Oktober 1782 in Genua geborene Paganini unter einer seltenen Krankheit, dem Marfan-Syndrom, gelitten haben könnte. Es bewirkt eine besondere Dehnbarkeit der Hände und hätte ihm so die atemberaubende Griffakrobatik auf den Saiten seiner Guarneri-Geige ermöglicht.
Das scheinbar diabolische Genie des "Teufelsgeigers" hat vor allem zwei ganz irdische Ursachen: natürliche Begabung und jahrzehntelanges Üben. Schon als Kleinkind wird Paganini von seinem ehrgeizigen Vater, einem mäßig begabten Mandolinenspieler, bis zur Verzweiflung gedrillt. Mit elf Jahren gilt der schmächtige Junge als Wunderkind. Für die Zeitgenossen steht deshalb Paganinis wahre Herkunft außer Frage. "Jedermann errät es jetzt..., dass Paganini und der Satan in der engsten Beziehung stehen, wenn einer nicht sogar mit dem andern identisch ist", schreibt 1829 die "Zeitung für die elegante Welt." Dieses Hexenmeister-Image unterstützt Paganini mit seiner dämonischen Ausstrahlung, seinem bleichen Gesicht und der leichenhaft dürren Statur nach Kräften. Während seiner rastlosen Tourneen durch halb Europa lässt er sich als "Vampir mit der Violine" ankündigen und umgarnt seine zahllosen Bewunderer mit dem hypnotischen Charme eines Grafen Dracula.
Nicht nur die Damenwelt erliegt scharenweise der Faszination des bleichen Meisters. Zu Paganinis größten Bewunderern zählen auch Künstlerkollegen wie Franz Schubert, Jakob Meyerbeer, Robert Schumann und Heinrich Heine. "Welch ein Mann, welch eine Geige, welch ein Künstler", seufzt der junge Franz Liszt. Menschlich allerdings eilt Paganini der Ruf eines arroganten, geizigen Blutsaugers voraus. Er kassiert horrende Eintrittspreise und fertigt sein Gefolge wie den letzten Dreck ab. Nur seinen einzigen Sohn Achille, der ihn auf allen Reisen begleitet, liebt Paganini abgöttisch. Achille pflegt ihn auch, als der größte Popstar seiner Zeit bereits mit 50 Jahren unter zahlreichen Krankheiten leidet. Kehlkopftuberkulose raubt ihm zudem in den letzten Jahren seines aufreibenden Lebens die Stimme. 1840 stirbt Paganini mit nur 57 Jahren in Nizza. Doch auch als Toter geht der im Leben so Rastlose noch einmal auf Tournee. Erst nach 55 Jahren und sechs Zwischenstationen findet der ohne kichlichen Segen gestorbene Niccolo Paganini in Parma endgültig seine letzte Ruhe.
Stand: 27.10.07