"Kannibalen aus der Südsee zum ersten Mal in Europa. 35 prächtige Gestalten von den Loyalty-Inseln", heißt es in einer Anzeige des Kölner Zoos vom 12. Juni 1931. Beworben wird eine so genannte Völkerschau: "Farbenprächtige Kriegstänze, herrliche Chorgesänge, Kämpfe und Spiele zu Wasser und zu Land." In der Endphase der Weimarer Republik will der damalige Zoodirektor Friedrich Hauchcorne den wirtschaftlich angeschlagenen Zoologischen Garten mit der Zurschaustellung von Menschen einer fremden Kultur wieder in die Gewinnzone bringen. Die "braunen Insulaner" aus Neukaledonien bringen einen Reporter des Kölner Stadt-Anzeigers in Wallung: "Gleich werden sie den vorwitzigen Zeitungsmann an die Martersäule binden, uah-uh-uah! Sie kommen auf mich zu und fuchteln mit den Armen, rollen wilde Augen und machen dabei die Gebärde des Zerschlagens."
Mehr als 300 Menschengruppen zur Schau gestellt
So genannte exotische Völkerschauen kommen in Europa Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode - als Folge von Imperialismus und Kolonialismus. Zwischen 1878 und 1932 werden im Kölner Zoo sieben solcher Ausstellungen präsentiert. Neben Neukaledoniern werden auch Samoaner, Inder, Beduinen, Eskimos, Sara Kabas und Aschanti vorgeführt. In Deutschland werden in diesem Zeitraum insgesamt mehr als 300 Menschengruppen zur Schau gestellt - vornehmlich bei Hagenbeck in Hamburg, im Berliner Tiergarten und auf der Münchner Wiesn. Die als "unverfälschte Naturvölker" angepriesenen Darsteller demonstrieren ihren angeblichen Alltag: eine Scheinrealität mit "traditionellen Tänzen", "Ritualen der Medizinmänner", öffentlichen Geburten und handwerklichen Darbietungen.
Nimbus der geheimnisvollen Südsee
Die "Kannibalen der Südsee" lösen in Köln einen Massenandrang aus: 27.000 Besucher an nur einem Tag. Dabei kann sich jeder Zeitungsleser darüber informieren, dass die so genannten exotischen Menschen französisch sprechen, getaufte Christen sind und kein Menschenfleisch essen. Ihre Mahlzeiten aus Reis, Fleisch und Früchten bereiten sie im Kölner Zoo allerdings in einem großen Kessel über offenem Feuer zu - damit der Nimbus der geheimnisvollen Südsee erhalten bleibt. Dennoch sind die Präsentationen in Köln verhaltnismäßig zurückhaltend.
Propaganda für die Institution Zoo
Anderenorts werden regelrechte Spektakel aufgeführt und nackte "Wilde" Seite an Seite mit Tieren aus ihrer Heimat gezeigt. Einige Schauen bieten sogar "Streichelgehege" für Erwachsene an, in den sie die fremden Körper betasten können. Für den Kölner Zoo sind die "Kannibalen der Südsee" die letzte erfolgreiche Völkerschau. "Eine gelungene Propagandaunternehmung für die Institution Zoo", erklärt Zoodirektor Hauchcorne, als die Neukaledonier nach vier Wochen Aufenthalt zu ihrer nächsten Spielstätte weiterreisen.
Stand: 12.06.2006