Ohne die Industrialisierung hätte man den Neandertaler vielleicht nie gefunden. Denn die beiden Bauarbeiter, die die Skelettreste 1856 aus einer Höhle am Düsselufer bei Mettmann bergen, haben eigentlich den Abbau von Kalkstein im Sinn. Zum Glück übergeben sie den komischen Fund an den Besitzer des Steinbruchs, der ihn seinerseits an den Lehrer und Naturkundler Johann Carl Fuhlrott weiterreicht. Fuhlrott erkennt sofort den Wert der Knochen. Für ihn und den hinzugezogenen Bonner Anatomen Hermann Schaafhausen stammt der Schädel mit seinen markanten Oberaugenwülsten eindeutig von einer urzeitlichen Menschenart.
1864 erhält der Neandertaler seinen Namen. Nach heutigem Kenntnisstand entstammt er einer Seitenlinie des Homo erectus, des ersten Vertreters der Gattung Mensch. Im Entdeckungsjahr allerdings sprengt der Fund aus dem Neandertal die Vorstellungskraft von Fuhlrotts Zeitgenossen. Für bibeltreue Christen ist die Welt erst vor 6.000 Jahren entstanden, der Mensch ohne Vorgänger von Gott aus Lehm erschaffen. Erst 1859 wird Darwins Buch über "Die Entstehung der Arten" erscheinen, das einen neuen Blick auch auf unsere prähistorische Vergangenheit erlaubt. Ein Urzeitwesen, zudem ein 42.000 Jahre altes, passt noch nicht ins Bild. Für einen Gelehrten gehört das Schädelfragment denn auch zu einem Wesen vom "Geschlechte der Flachköpfe, deren noch heute im amerikanischen Westen wohnen". Ein anderer erklärt die Oberaugenwülste mit anatomischen Verformungen eines verletzten Kosakenreiters, die wegen dessen Schmerz- und Sorgenfalten entstanden sind. Erst weitere Funde aus anderen Ländern überzeugen die Wissenschaft. Aber da ist Fuhlrott schon lange tot.
Heute ist vom Fundort in Mettmann nichts mehr zu sehen. Im Zuge der Industrialisierung wurden die Hügel rund um das nach dem Kirchenlieddichter Joachim Neander benannte Tal vollständig abgebaut. So unscheinbar ist die platt gewalzte Fläche, dass die Wiederentdeckung der Fundstelle 1997 einer Sensation gleichkam. Inzwischen erinnert eine Bronzestatue an den Fund. Auf Steinliegen kann man in die Höhe blicken und über die Vergangenheit und Zukunft des Menschen meditieren. Vielleicht werden eines Tages dann ja weiter entwickelte Archäologenwesen auf unsere Überreste stoßen, sinniert zum Beispiel Barbara Auffermann vom benachbarten Neanderthal-Museum. "Und hoffentlich gibt es dann noch welche, die uns ausstellen können."
Stand: 02.05.06