Stichtag

13. November 2005 - Vor 45 Jahren: Der Versuchsreaktor Kahl geht in Betrieb

Mitte August 1960 legt ein amerikanisches Frachtschiff in Nordenham an der Unterweser an. An Bord sind 6,5 Tonnen Uranbrennstoff für das Versuchsatomkraftwerk Kahl am Untermain. Die 50 Kisten werden in 13 Spezialwaggons der Bundesbahn in die unterfränkische Gemeinde transportiert. Am 13. November 1960 setzen die Ingenieure die erste Kettenreaktion in Gang. Im Juni 1961 geht das Atomkraftwerk (AKW) ans Netz. Oberstes Ziel ist allerdings nicht, Strom zu erzeugen. Zunächst soll die neue Technik getestet werden. Deshalb haben die Stromkonzerne  RWE und Bayernwerke in den  USA einen Mini-Reaktor mit nur 15 Megawatt Leistung bestellt. Soviel produzieren heute zehn kleine Windenergieanlagen.
Treibende Kraft in Kahl ist der junge Diplomingenieur und spätere  RWE-Vorstand Heinrich Mandel, der von der Zukunft der Atomenergie überzeugt ist. Er lässt den Versuchsreaktor in nur 29 Monaten Bauzeit errichten - ohne Genehmigung, die gibt es erst im Nachhinein. Auch bei der Standortwahl ist gepfuscht worden: Kahl liegt nur etwa 20 Kilometer südöstlich der Großstadt Frankfurt am Main - viel zu nah an einem Ballungsraum. Doch Sicherheitsbedenken gibt es damals nicht: "Man kann heute generell sagen, technische Anlagen zur Verwertung der Atomenergie sind kontrollierbar", erklärt Atomminister Siegfried Balke (CDU) bereits 1957.

Die Sicherheitsauflagen für das erste  AKW in Deutschland sind kurios: Eine Schafherde soll auf dem Werksgelände gehalten werden. Jedes Jahr wird eines der Tiere geschlachtet, um es ärztlich zu untersuchen. Zumindest die Anwohner hat das offenbar überzeugt. Proteste gegen den Versuchsmeiler gibt es kaum. Ungefähr 100 Störfälle hat der Bund für Umwelt und Naturschutz ( BUND) registriert, darunter einen Defekt, der zu einem Super-Gau habe führen können: 1968 sei minutenlang die Stromversorgung zusammengebrochen, so dass kein Notkühlsystem habe anspringen können. Von Dezember 1972 bis Mai 1973 wird der Reaktor stillgelegt und von Grund auf überholt. Im November 1985 hat die Anlage ausgedient. Seither wird der Meiler in seine Einzelteile zerlegt. Der so genannte Rückbau soll Mitte 2006 abgeschlossen sein. Beim Abriss wird mit etwa 1.000 Kubikmeter radioaktivem Abfall gerechnet. Das entspricht dem Volumen eines Würfels mit einer Seitenlänge von zehn Metern.


Stand: 13.11.05