Stichtag

25. Juni 2005 - Vor 105 Jahren: Das Kuppelei-Gesetz "Lex Heinze" tritt in Kraft

1891: In Berlin ist ein Ehepaar aus dem Rotlichtmilieu wegen Mordes angeklagt. Der Töpfer Gotthilf Heinze und seine Frau Anna, eine Prostituierte, sollen über mehrere Tage ein Mädchen festgehalten, sexuell missbraucht und schließlich getötet haben. Während des Prozesses stellt sich heraus, dass Heinze nicht regelmäßig in seinem Beruf arbeitet, sondern von den Einkünften seiner Frau lebt. Ein Tabu wird öffentlich: Das Geschäft der Prostitution blüht. Entsetzt ist vor allem der Kaiser. Er bringt eine Gesetzesinitiative auf den Weg und fordert, dass Zuhälter strafrechtlich belangt werden sollen.Der Gesetzentwurf, der bald nur noch "Lex Heinze" heißt, umfasst drei Paragraphen: Durch den so genannten "Kunst- und Schaufensterparagraphen" soll die Verbreitung von Bildern oder Schriften, die "das Schamgefühl gröblich verletzen", unterbunden werden. Gemeint sind alle Arten von Bildern und Schriften - auch Kunstwerke, die nicht in unzüchtiger Absicht entstanden sind, aber so interpertiert werden können. Bilder von Rubens etwa oder die Venus von Botticelli. Der "Arbeiterparagraph" droht jenen mit Strafe, die Frauen "zur Duldung oder Verübung unzüchtiger Handlung" beschäftigen, also Kupplern oder Zuhältern. Der "Theaterparagraph" sieht für denjenigen Gefängnis vor, der Werke aufführt, die das Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzen. Kunst soll erheben und nicht in den "Rinnstein" niedersteigen, wie der Kaiser es ausdrückt.

Das "Lex Heinze" löst eine Protestwelle aus. Nachdem das Gesetz im Februar 1900 verabschiedet wird, gründen Künstler und Intellektuelle den "Goethebund zur Wahrung der künstlerischen und wissenschaftlichen Freiheit". Zweck ist es, "Angriffen auf die freie Entwicklung des geistigen Lebens, insbesondere von Wissenschaft, Kunst und Literatur gemeinsam entgegenzutreten". Ehrenvorsitzender ist der Historiker Theodor Mommsen. Mit Unterstützung der Sozialdemokraten gelingt es dem Goethebund, das "Lex Heinze" zu ändern. Der Deutsche Reichstag nimmt im Mai 1900 eine Kompromissfassung an, die am 25. Juni des selben Jahres in Kraft tritt. Der "Theaterparagraph" wird ersatzlos gestrichen. Der "Kunst- und Schaufensterparagraph" wird auf einen Absatz beschränkt, der den Verkauf schamloser Schriften und Bilder an Personen unter 16 Jahren mit Strafen belegt.Stand: 25.06.05