10. Juni 2010: Pfandbon-Urteil wegen Bagatellkündigung gesprochen

Stand: 10.06.2020, 00:00 Uhr

Supermarkt-Kassiererinnen können schon kleinste Vergehen zum Verhängnis werden. Wie Barbara Emme, unter Freunden "Emmely" genannt, der wegen einer Bagatelle im Februar 2008 fristlos gekündigt wird.

Entlassen für 1,30 Euro

Es geht um zwei Pfandbons für Leergut. Zehn Tage lang liegen sie im Büro einer Filiale der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann in Berlin: Dem Kunden, der sie vergessen hat, soll so die Chance gegeben werden, sie abzuholen und einzulösen. Das tut dann angeblich die 50-jährige Kassiererin Barbara Emme. Es geht um einen Wert von 1,30 Euro.

Urteil im Pfandbon-Prozess (am 10.06.2010) WDR 2 Stichtag 10.06.2020 04:16 Min. Verfügbar bis 08.06.2030 WDR 2

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Seit 31 Jahren arbeitet Barbara Emme als Kassiererin, 15 Jahre davon bei Kaiser’s Tengelmann. Und sie bestreitet die Tat. Trotzdem wird ihr gekündigt, denn die Unschuldsvermutung – im Zweifel für den Angeklagten – gilt nur im Strafrecht in dieser eindeutigen Art und Weise. Hat der Arbeitgeber den objektiv begründeten Verdacht, dass ein Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begeht, so kann er eine Verdachtskündigung aussprechen, sagt das Arbeitsrecht. Auch der Verdacht auf ein Bagatelldelikt kann eine fristlose Kündigung begründen.

Selbst durch den Verzehr eines Stückchens Bienenstich oder einer Portion Maultaschen, die ansonsten im Müll gelandet wären, haben Menschen in Deutschland schon ihren Job verloren.

Abmahnung unverhältnismäßig

Barbara Emme will sich damit nicht abfinden und zieht vor Gericht. Ihr Anwalt vermutet ohnehin, dass es eigentlich darum geht, eine engagierte Gewerkschafterin loszuwerden: Zum Entlassungszeitpunkt tobt eine der schärfsten und härtesten Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaft Verdi und den Unternehmerverbänden. Doch die ersten beiden Gerichtsinstanzen erkennen diesen möglichen Hintergrund der Kündigung nicht an. Sie folgen eher der Gegenseite, die anbringt, dass auch durch ein Bagatelldelikt das Vertrauensverhältnis zerstört sein kann.   

Die Gekündigte geht weiter durch die Instanzen – und hat am 10. Juni 2010 Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht Erfurt erklärt die Kündigung für unverhältnismäßig: Weil Barbara Emme derart lange in dem Unternehmen gearbeitet habe, hätte zunächst eine Abmahnung erfolgen müssen.

Es ist auch ein Fingerzeig an Arbeitgeber, bei derartigen Kündigungen stärker den Einzelfall zu berücksichtigen. Barbara Emme nimmt ihre Arbeit als Kassiererin wieder auf. Sie stirbt 2015 im Alter von 57 Jahren an Herzversagen.

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