Homosexualität ist wie Sex mit Tieren, zumindest was das männliche Geschlecht betrifft - so sieht es das Reichsgesetzbuch des neuen Deutschlands von 1871. "Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen", steht darin als Paragraf 175 geschrieben. "Auch kann der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden."
Unter Hitler wird der Paragraf 175 noch radikalisiert. Von nun an reichen ein Kuss, eine flüchtige Berührung oder der bloße Verdacht auf Homosexualität aus, um ins Zuchthaus oder ins Konzentrationslager zu kommen. 100.000 Homosexuelle werden von den Nationalsozialisten verschleppt und gefoltert, teils durch operative Eingriffe in ihr Gehirn. Rund 15.000 von ihnen sterben im KZ.
50.000 Männer verurteilt
Nach 1945 gilt Paragraf 175 in der Bundesrepublik Deutschland unvermindert weiter - und zwar in der im Dritten Reich verschärften Version. Beschwerden dagegen weist das Bundesverfassungsgericht mit der Begründung zurück, der Paragraf sei "formell ordnungsgemäß erlassen worden und nicht in dem Maße nationalsozialistisch geprägtes Recht, dass ihm in einem freiheitlich-demokratischen Staate die Geltung versagt werden muss." Schließlich seien die "sittlichen Anschauungen des Volkes, die sich aus den Lehren der beiden großen Konfessionen speisen" hier "schützendes Rechtsgut".
Mit Razzien, Verhaftungen und Gerichtsverhandlungen geht der Staat immer wieder gegen Homosexuelle vor. Inoffiziell führen viele Städte und Gemeinden sogenannte rosa Listen mit Namen und Adressen. Bis Ende der 1960er-Jahre werden rund 50.000 Männer rechtskräftig verurteilt.
Ehre für Alle
1969 beginnt mit der Reform des Paragrafen 175 die Wende. Von nun an ist Homosexualität unter Erwachsenen straffrei. Mit seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" gibt Regisseur Rosa von Praunheim 1971 den Startschuss zur Gründung zahlreicher Emanzipationsgruppen. Schwule Beratungszentren entstehen ebenso wie ein neues Selbstbewusstsein - zu sehen bei Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day.
Am 10. März 1994 streicht der Bundestag den Paragrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch. Rund 25 Jahre später hat Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit dem Satz "Ich bin schwul und das ist auch gut so" sein Coming-Out. Seit 2017 dürfen Männer sogar Männer heiraten und Frauen Frauen.
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Stichtag am 11.03.2019: Vor 10 Jahren: Amoklauf in Winnenden