"Ich bin geworden, was ich bin - durch Widerspruch." Der Schriftsteller Martin Walser eckt immer wieder an. "Ich wollte mir das schon 100 Mal abgewöhnen, sozusagen in diese blöde öffentliche Meinung auch noch hineinzureden. Und immer wieder mache ich es." Er wisse nicht, wann das begonnen habe. "Vielleicht hat das schon in der Schule angefangen und beim Militär."
Geboren wird Martin Johannes Walser am 24. März 1927 am Bodensee, als Sohn eines Gastwirtes in Wasserburg. Als Zehnjähriger verliert er den Vater und muss seiner Mutter in der Gastwirtschaft helfen. Im Zweiten Weltkrieg wird er 1943 mit 16 Jahren als Flakhelfer eingezogen. Er rebelliert - systemkonform - gegen seinen Vorgesetzten: Für den Oberrealschüler ist eigentlich die Offiziersschule in Mittenwald vorgesehen. "Das war mein großes Glück", erinnert sich Walser. Die Mittenwalder seien schnell ins Gefecht geworfen worden, er sei "zu einem Truppenteil von alten Kerlen" gekommen. Darum habe er überlebt.
Kritik an Schreibqualitäten
1944 wird Walser - laut eines Aktenvermerks im Bundesarchiv - NSDAP-Mitglied. Er bestreitet später, einen entsprechenden Antrag unterschrieben oder überhaupt von der Parteizugehörigkeit gewusst zu haben. Nach Kriegsende studiert er in Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte. Er promoviert über Franz Kafka und jobbt während des Studiums als Reporter beim Süddeutschen Rundfunk.
Seine Leidenschaft ist aber das Schreiben. Er gehört zur Gruppe 47: "Ich wollte schreibend die Welt verändern." 1957 erscheint sein erster Roman "Ehen in Philippsburg", der zwei Jahre später mit dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet wird.
Nachdem Walser in den 1950er und 1960er Jahren zum Jungstar avanciert, muss er in den 1970er Jahren einige Misserfolge hinnehmen. Höhepunkt ist 1976 der erste öffentliche Eklat. Unter der Überschrift "Jenseits der Literatur" verreißt der FAZ-Kritiker Marcel Reich-Ranicki Walsers Buch "Jenseits der Liebe": "Er kann Romane ums Verrecken nicht schreiben." Walser kontert, diese Kritik habe "Attentatscharakter", damit solle der Autor erledigt werden.
Skandal um Auschwitz-Äußerung
1988 redet Walser öffentlich in einer Veranstaltungsreihe "über das eigene Land" und beklagt die Teilung Deutschlands. Zudem bedauert er die "Vernachlässigung des Nationalen durch uns alle". Kritiker werfen ihm Nationalismus und Verharmlosung neonazistischer Aktivitäten vor. Zehn Jahre später folgt der nächste Skandal. Bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels spricht Walser 1998 in der Frankfurter Paulskirche von der "Instrumentalisierung von Auschwitz" als "Dauerpräsentation der deutschen Schande". Die ständige Thematisierung des Holocausts als "Moralkeule" erreiche den gegenteiligen Effekt.
Ignaz Bubis, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, wirft ihm daraufhin "geistige Brandstiftung" und "latenten Antisemitismus" vor: "Mit Sicherheit werden sich die Rechtsextremisten jetzt auf Walser berufen."
"So etwas schreiben, ist einfach schön"
2002 sorgt Walser Roman "Tod eines Kritikers" erneut bundesweit für Negativ-Schlagzeilen. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher verweigert einen Vorabruck mit dem Hinweis auf Antisemitismus. Denn im Buch rechnet der Schriftsteller mit Literaturkritiker Reich-Ranicki ab - in der Figur des André Ehrl-König. "Ein unangenehmes Buch", kritisiert Reich-Ranicki. "Ich fand das so unanständig, nicht nur mir gegenüber, auch anderen Leuten gegenüber."
"Ich musste das machen", sagt Walser rückblickend. "Und die Arbeit, so etwas zu schreiben, ist einfach schön." Inzwischen sei es vorbei. "Im Augenblick befinde ich mich in einem nahezu friedlichen Zustand, was all diese Kampf- und Schauplätze anbelangt. Das ist alles hinter mir."
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