Stichtag

26. November 1965 - Joseph Beuys erklärt einem Hasen seine Bilder

Kunst kann und soll man nicht erklären. Davon ist Joseph Beuys überzeugt. "Ich glaube, heute besteht ein großes Missverständnis bei den Menschen", sagt der Aktionskünstler, Zeichner und Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie. "Als müsse Kunst durch einen logischen Satzzusammenhang verstanden werden. Wenn aber die dahinter stehende Idee das Werk dann eigentlich wäre, dann bräuchte ich doch dieses sinnliche Gebilde gar nicht zu machen. Dann könnte ich das doch in logischen Satzzusammenhängen schildern."

Beuys will nicht schildern. Er will sinnliche Erfahrung und intuitives Erfassen. Diesem Sinnlichen und Intuitiven aber steht seiner Meinung nach das Tier viel näher. Und es hat den Vorteil, dass es Kunst, selbst wenn es wollte, gar nicht verstehen könnte. Also erklärt Joseph Beuys am 26. November 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela einem Hasen seine Bilder. Dass der Hase tot ist, setzt der ernst gemeinten Ironie die Spitze auf.

Honig am Kopf, Eisen am Fuß

Natürlich ist auch menschliches Publikum vor Ort. Schließlich ist Beuys in den 60er Jahren schon eine ebenso umworbene wie geheimnisvolle Größe auf dem Sammlermarkt. Aber es muss, wie sonst die Hunde, draußen bleiben. Die Aktion selbst kann es nur durch die Galerienscheiben betrachten, vor denen Kunsthändler Alfred Schmela zu Beginn theatralisch die Vorhänge wegzieht.

Drinnen sieht man Beuys mit besagtem Hasen im Arm durch die Räume schreiten und mit Blicken auf das durch die Umgebung zum uraltem Symbol der Fruchtbarkeit und der christlichen Auferstehung geadelte Tier die Lippen bewegen. Den Kopf hat er mit Honig und Blattgold verschmiert, an den Füßen trägt er Eisensohlen, die ihn erden. Ganze drei Stunden dauert die Performance, dann öffnet Schmela für die, die ausgehalten haben, die Tür.

Parodie des Eröffnungsrituals

"Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" ist ein typisches Kunstwerk à la Beuys. Mit ihm erweitert er radikal den Kunstbegriff. Und er bedient sich der rätselhaft bleibenden Aktion als eines Mediums, das möglichst viele Kunstattungen zu einem Gesamtkunstwerk für alle Sinne zusammenbringen will. Vor allem aber parodiert die Sneak Preview für einen toten Hasen das klassische Eröffnungsritual des Ausstellungsbetriebs, bei dem der Galerist mit dem Künstler im Schlepptau beim Sammler durch eine kunstgeschichtliche Rede und den anschließenden Rundgang Begehrlichkeiten wecken will. Das Tier signalisiert nicht einmal interesseloses Wohlgefallen – es ist ja tot.

Als das Publikum nach drei Stunden in die Räume der Galerie hineingelassen wird, sitzt Beuys mit dem Hasenkadaver im Arm auf einem Hocker im Foyer und wendet den Kunstfans den Rücken zu. Entstanden sind da schon Bilder in den Köpfen, die in der Kunstgeschichte bis heute nachwirken. Logische Satzzusammenhänge helfen da bei der Erklärung nicht weiter.

Stand: 26.11.2015

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