3. März 1897 - Luise von Oertzen wird geboren

Stand: 03.03.2017, 00:00 Uhr

Angespannt verfolgt Luise von Oertzen 1957 die Beratungen im Bundestag über eine geplante Pflegereform: Arbeitsrechtler und SPD-Opposition wollen Krankenschwestern anderen Berufen gleichstellen, eine Ausbildung und tarifliche Bezahlung festlegen. Das will die Generaloberin vom Deutschen Roten Kreuz gemeinsam mit den Spitzenfunktionären von Caritas und Diakonie unbedingt verhindern.

Ein solches Gesetz würde die von ihnen betriebenen Mutterhäuser gefährden. Hier leben bislang Krankenschwestern und Helferinnen in einer ordensähnlichen Gemeinschaft - unter strenger Aufsicht. Wer eintritt, stellt sein Leben in den Dienst der Gemeinschaft. Erwartet wird barmherzige Zuwendung für die Kranken, oft über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus.

"Die Tracht ist unsere Gesinnung"

"Eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 70, 80 Stunden war nicht ungewöhnlich", erklärt Professorin Susanne Kreutzer, Pflegewissenschaftlerin und Historikerin an der Fachhochschule Münster. An welchem Ort und auf welcher Station die Krankenschwester eingesetzt wird, bestimmt allein die Oberin des jeweiligen Mutterhauses - ebenso über Freizeitaktivitäten, die ohnehin nur in der Schwesternkluft erlaubt werden.

"Die Tracht ist unsere Gesinnung", betont von Oertzen, die seit 1952 die DRK-Mutterhäuser leitet. Die am 3. März 1897 als jüngste Tochter einer niedersächsischen Adelsfamilie Geborene tritt nach der Schwesternausbildung dem Roten Kreuz bei. Ein beliebter Schritt für ledige Töchter des gehobenen Mittelstandes. Immerhin gewährt die DRK-Schwesternschaft ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung.

Neuanfang mit alten Idealen

Allein das Tempo ihres Aufstiegs überrascht. Luise von Oertzen ist nicht nur ehrgeizig, sie gilt schon früh als parteinah. Sie wird 1934 Generaloberin und kann die DRK-Schwesternschaft vor der Auflösung im Nationalsozialismus bewahren. Das zählt nach dem Krieg mehr als ihre NSDAP-Mitgliedschaft und von Oertzen organisiert den Neuaufbau der DRK-Pflege, hält aber an alten Institutionen und Idealen fest.

So sind Ehe und Familie für die Krankenschwestern nicht vorgesehen, der tatsächlich ausgezahlte Lohn oft dürftig. Von Oertzen sieht das als "Ausdruck für die Sorge unserer Schwester, das Mutterhaus nimmt ihr alle Mühe ab". Dennoch gibt es wenig Austritte. Wer geht, verliert sämtliche Rücklagen und steht ohne Altersvorsorge da. Zudem sind die Chancen auf eine freie Anstellung als Krankenschwester gering. Die Kliniken schließen lieber Gestellungsverträge mit den Mutterhäusern ab und entledigen sich damit der eigenen Personalverantwortung.

Verbot Barmherzigkeit zu üben

Die Mutterhäuser - egal ob in der Hand vom DRK, katholischer Caritas oder evangelischer Diakonie - diktieren die Pflege in den Kliniken. Diese Machtfülle provoziert Mitte der 50er-Jahre Widerstand und den Wunsch nach gesetzlichen Regelungen. Die aufkommenden Forderungen, nur examinierte Krankenhausschwestern an die Betten zu lassen, propagiert von Oertzen als Verbot "Barmherzigkeit zu üben".

Ihre intensive Lobbyarbeit zusammen mit den übrigen Trägern der Mutterhäuser fruchtet, Luise von Oertzen kann aufatmen. Das von der CDU-Regierung 1957 verabschiedete Pflegegesetz lässt das alte System noch unangetastet. Erst der Wirtschaftsboom mit seinen attraktiveren Jobs macht aus dem selbstlosen Dienst einen modernen Beruf mit Ausbildungsordnung und Tariflöhnen. Luise von Oertzen muss nun zusehen, wie ihre Mutterhäuser an Einfluss verlieren. Sie stirbt 1965 im Alter von 68 Jahren.

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