15. November 2002 - Der Bundestag beschließt Hartz IV-Gesetze

Stand: 15.11.2017, 00:00 Uhr

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine rot-grüne Regierung am 15. November 2002 die Sozialgesetze um Hartz IV beschließen, wollen sie sparen – und den Arbeitsmarkt flexibler machen. "Hartz IV selber bringt keine Arbeitsplätze, sondern bringt Menschen eher in Arbeit, weil das Fördern der Menschen, um die es geht, besser wird", sagt Schröder damals.

Bundestag beschließt Hartz IV-Gesetze (am 15.11.2002) WDR 2 Stichtag 15.11.2017 04:10 Min. Verfügbar bis 13.11.2027 WDR 2

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"Fördern und fordern" heißt die Losung. Der ehemalige VW-Vorstand Peter Hartz hat die umfassende Arbeitsmarkt- und Sozialreform entwickelt. Die Arbeitslosenzahlen sind laut Statistik tatsächlich gesunken, vor allem ab 2005: Bis 2016 verringert sich die Arbeitslosenzahl in Westdeutschland laut der Zentrale für politische Bildung um 1,27 Millionen, ein Minus von 39,1 Prozent. In Ostdeutschland sinkt die Zahl um rund 900.000, ein Minus von 55,9 Prozent. Doch Armut gibt es noch immer.

Woche um Woche stehen Menschen bei der Tafel an

Eine gepflegte Rentnerin, 75 Jahre alt, wartet bei der Tafel der katholischen Kirchengemeinde St. Mauritius in Köln in der Schlange. Die ehemalige Haushälterin muss ihre Rente mit der Grundsicherung aufstocken. Und immer, wenn ihre Rente etwas steigt, schlägt das Jobcenter auf der anderen Seite zu. "Das nimmt mir das Sozialamt wieder weg und verrechnet es", sagt die Renterin, die anonym bleiben möchte. Etwas über 800 Euro Rente bekommt sie im Monat. "Allein die Miete kostet schon 417 Euro", sagt sie.

Woche für Woche stellen sich vor allem alte Menschen mit ihren Rollkoffern vor dem weißen Zelt auf dem Hinterhof der Kirche an. Menschen, deren Renten nicht reichen.

Hat Hartz IV Armut erzeugt?

All das geschieht in einem Land, das zu den fünf reichsten Ländern der Welt gehört. Für den Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge ist Hartz IV ein Synonym für den Abbau sozialer Leistungen. Es sei die tiefste Zäsur seit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates. Für Hartz VI werden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt – auf ein Niveau, das teilweise sogar unter der früheren Sozialhilfe liegt. "Diejenigen, die langzeiterwerbslos sind, und diejenigen, die als Aufstocker so wenig verdienen, dass sie mit von Hartz IV leben müssen – für diese Menschen hat sich die Situation verschlechtert", sagt Butterwegge.

So sieht das auch Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. "Die Einführung von Hartz IV hat in Deutschland Armut erzeugt", sagt er. Quasi über Nacht steigt 2002 die Zahl derer, die von Sozialhilfe leben müssen, von rund drei Millionen auf sieben Millionen Menschen. "Und das Schlimme ist: Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir haben nach wie vor über sieben Millionen Menschen, die von Fürsorgeleistungen leben, und davon befinden sich rund sechs Millionen in Hartz IV", so Schneider.

Bilanz: Eine Million Leiharbeiter und sieben Millionen Minijobber

Jeder vierte Mensch arbeitet in Deutschland mittlerweile im Niedriglohnsektor, darunter eine Million Leiharbeiter und sieben Millionen Minijobber. Und all diese prekär beschäftigten Menschen tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf. "Wir haben statistische Erfolge erreicht, aber sie sind mit einer Amerikanisierung des Arbeitsmarktes erkauft worden", sagt Schneider. Das sei die Kehrseite des vermeintlichen Job-Wunders von Hartz IV. "Die Reform ist ein völliger Flop gewesen. Hartz IV bedeutet: verhärtete Armut und kein Sprungbrett", so das Gesamturteil von Ulrich Schneider.

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