"Klavierspielen kann man lernen, aber nicht das Gefühl dafür. Das ist da oder nicht", sagt Ray Charles. "Ich glaube, dass ich damit geboren wurde." Sonst ist nicht viel da, als Raymond Charles Robinson am 23. September 1930 in Albany, Georgia zur Welt kommt, schon gar kein Klavier. Seine Mutter, die Wäscherin Aretha Robinson, hat Mühe, ihn und seinen ein Jahr jüngeren Bruder George satt zu bekommen. Der Vater ist mit einer anderen Frau verheiratet.
Mit drei Jahren fühlt sich Ray nirgendwo wohler als beim Gospelsingen in der Kirche und beim alten Wylie Pitman, der ihm am Klavier des Red Wing Cafes Boogie-Woogie beibringt. Die Musik wird Rays Welt. Sie gibt ihm Halt, als der kleine Bruder vor seinen Augen ertrinkt und als er mit sieben Jahren sein Augenlicht verliert. In einem Blinden-Internat fern von zuhause lernt Ray Robinson, Musik in Blindenschrift zu lesen: Bach, Mozart, Chopin, während im Schulradio weißer Jazz läuft. Nach dem Tod der Mutter steht er mit 15 ganz allein in der Welt. "Lass dich durch nichts und niemandem zu einem Krüppel machen", hatte sie ihm eingeimpft.
Prediger der Lebenslust
Der junge Ray Charles – den Künstlernamen legt er sich zu, um nicht mit dem Boxer "Sugar" Ray Robinson verwechselt zu werden - hat bereits alles drauf: Jazz, Blues, Gospel und all die Country-Songs aus dem Radio. Bald stellt er eigene Bands zusammen und findet, nachdem er einige Zeit Größen wie Nat King Cole imitiert hat, seinen eigenen, völlig neuen Stil: Den Soul, die Musik, die aus der Seele kommt. Auf die Melodie eines alten Kirchenliedes schreibt Ray Charles einen lebenshungrigen Text über die Liebe und hat 1955 mit "I've Got A Woman" seinen ersten Hit. Viele schwarze Gläubige werfen ihm Gotteslästerung vor.
Doch Ray Charles hat Erfolg, sogar bei Weißen und das ist eine Sensation. 1959 ersetzt er das Frage- und Antwortspiel zwischen Pastor und Gemeinde durch ein sinnlich-wildes Flirten und schreibt mit "What'd I Say" seinen ersten Welt-Hit. Klassiker wie "Georgia On My Mind", "Hit The Road, Jack" und "I Can't Stop Loving You" folgen. So ekstatisch Charles singt und sein Piano bearbeitet, so lebt er auch. Obwohl seit 1953 verheiratet, hat er viele Geliebte und zeugt neben drei ehelichen mindestens neun uneheliche Kinder. Der blinde Prediger der Lebenslust genießt sein Dasein in vollen Zügen. Manche seiner Frauen verzweifeln daran.
"Das einzige echte Genie des Showbusiness"
Obwohl fast 20 Jahre lang heroinabhängig, bleibt Ray Charles immer Voll-Profi und Herr seiner eigenen Karriere. Als einer der ersten schwarzen Musiker behält er die Rechte an seinen Werken, was ihm im Laufe seiner Karriere Millionen einbringt. Bittere Erfahrungen mit dem Rassismus bleiben Ray Charles allerdings trotz seiner Prominenz nicht erspart. Unterkriegen lässt er sich nicht. Als Freund von Martin Luther King gibt Charles Konzerte für die Bürgerrechtsbewegung, weigert sich, in "Rassistenläden" zu spielen und erhält deshalb in Georgia Auftrittsverbot.
Zu einer Ikone des US-Entertainments aufgestiegen, wird sein von Hoagy Carmichael komponierter Song "Georgia On My Mind" 1979 zur offiziellen Hymne des Staates Georgia erklärt. Fünf Jahrzehnte lang reißt Ray Charles die Menschen rund um den Erdball mit seiner Musik jenseits aller Genregrenzen mit. Wenn er, schon im Rhythmus zappelnd, auf die Bühne geführt wird, wenn er mit seiner unverwechselbar krächzenden Stimme offenbart, was er gerade fühlt, dann spricht er alle Sprachen und erreicht Menschen aller Hautfarben. Am 10. Juni 2004 stirbt Ray Charles in Beverly Hills an Leberkrebs. Kein Geringerer als Frank Sinatra würdigt ihn als "das einzige echte Genie des Showbusiness".
Stand: 23.09.2015
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