Es ist nur noch ein Leben übrig geblieben. Natürlich ist auch dieses Leben bei Günter Netzer kein ganz normales. Aber vielleicht kann man sagen, er ist jetzt ein wenig zu Ruhe gekommen. Er lebt jetzt in Zürich und auf Sylt. "Eigentlich habe ich drei bis vier Leben geführt", sagte Netzer im vergangenen Mai im WDR-Podcast "Einfach Fußball".
Fußball-Profi und -Manager, Geschäftsmann, Fernseh-Experte, Popstar. Oft alles gleichzeitig. Während er als Profi am Mönchengladbacher Bökelberg die Borussia zu einem Erfolg nach dem anderen führte, eröffnete er mit seiner damaligen Freundin Hannelore Girrulat die "lovers lane", eine Discothek im Herzen der Altstadt. Zusätzlich betrieb er parallel das Speiselokal "La Lacque". Und er wirkte auch als Herausgeber des Fohlen-Echo, der Stadionzeitung der Borussia, die erstmals 1965 erschien und die bis heute erhältlich ist.
Eigensinnig und erfolgreich
Netzer war schon immer ein bisschen anders - vor allem, als die anderen Fußballspieler. Immer nur das Dasselbe langweilte ihn. Er war ein kreativer Kopf, so wie er seine Pässe spielte, so wie er sich durchs (Profi-) Leben bewegte. Er war eigensinnig und erfolgreich. Er wechselte sich in seinem letzten Spiel für die Gladbacher selbst in der Verlängerung im DFB-Pokalfinale gegen den 1.FC Köln im Jahr 1973 ein - und erzielte vier Minuten später auch gleich das entscheidende Tor.
Zweimal Deutscher Meister mit der Borussia, später mit Real Madrid zweimal spanischer Meister und auch zweimal spanischer Pokalsieger. Mit der Nationalmannschaft Europameister 1972 und Weltmeister 1974. Was für eine Bilanz.
Leidenschaft und Geschäft
Netzer fuhr schon früh Ferrari, er trug lange Haare und machte und sagte, was er so wollte - selbstbewusst, ohne dabei überheblich zu wirken oder die nötige Ernsthaftigkeit für all seine Aufgaben zu verlieren. Er fiel in vielerleit Hinsicht auf.
Er war der erste Bohème der Bundesliga in einer Zeit, in der der Fußball noch den Anstrich hatte, nur für die einfachen Leute, die Arbeiterklasse, da zu sein. Die Besserverdiener rümpften zur damaligen Zeit eher noch die Nase, wenn es um diesen Volks- und Männer-Sport ging, bei dem elf Freunde gemeinsam für den Erfolg kämpften.
Für Netzer war das nie so. Fußball war für ihn immer große Leidenschaft, aber nicht weniger Geschäft. Und er machte daraus auch keinen Hehl. "Am Samstag stehen elf Geschäftsleute auf dem Platz, von denen jeder seine eigenen Interessen vertritt. Sie suchen zusammen den Erfolg“, sagte er damals. So hatten das zuvor wohl die wenigsten Leute gesehen. Fußball als Geschäft - von Netzer so offensiv benannt. Für viele Menschen damals ein Schock.
Netzer: "Ich kann das nicht"
Netzer wusste stets, was zu tun ist. Er empfing zu Gladbacher Zeiten lokale Reporter zu Hause und informierte sie bei Kaffee und Kuchen in der eigenen Küche. Natürlich vertrat er dabei seine eigenen Interessen. Uneitel war er schließlich nie, im Gegenteil.
Beim HSV sollte er später Manager werden, wollte aber eigentlich nur die Stadionzeitung herausgeben. "Ich kann das nicht", sagte Netzer den HSV-Verantwortlichen zum Manager-Angebot. Am Ende machte Netzer beides und wurde mit einer von ihm zusammengestellten Mannschaft um Horst Hrubesch und Kevin Keegan und den Trainern Branko Zebec und Ernst Happel drei Mal Deutscher Meister und gewann den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League).
Auch dunkle Schatten
Irgendwann gründete Netzer in Zürich, wohin er seinen Wohnsitz verlagert hatte, eine Werbeagentur und handelte Fernsehrechte. Bis 2017 war er Executive Director der Schweizer Sportrechteagentur Infront Sports & Media AG.
Apropos Fernsehen: Als ARD-Experte für die Nationalmannschaft erarbeitete er sich ganz nebenbei Kultstatus im Zusammenspiel mit Moderator Gerhard Delling. Beide erhielten für ihre Sendungen den angesehenen Grimmepreis.
Netzers viele Leben wirken wie eine einzige Erfolgsgeschichte. Aber es gibt auch wenige dunkle Schatten. Seine Kenntnis zu den vermeintlichen Korruptions-Vorgängen rund um das deutsche Sommermärchen, der Weltmeisterschaft 2006. wollte Netzer einem deutschen Gericht nicht preisgeben.
Und auch bei den Vorgängen rund um die möglichen Bestechungsvorwürfe von Sportvermarkter Infront bei der Suche nach Bandenwerbepartnern für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) im Jahr 2013 war Netzer noch bei der Firma in leitender Position tätig. Der DFB beendete die Zusammenarbeit.
Privilegiertes Leben
Seit gut zehn Jahren hat sich Netzer nun nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und genießt das eine, verbliebene Leben mit seiner Frau Elvira und Tochter Alana. "Ich bin so privilegiert, dass man das gar nicht glauben kann", sagt Netzer.