Im Winter 1917 will Sergej Rachmaninow nur noch raus aus Russland. Die Wirren der bolschewistischen Oktoberrevolution schüchtern den Komponisten dermaßen ein, dass er eine Konzerteinladung nach Stockholm nutzt, um mit seiner Familie für immer zu emigrieren.
Mit der Bahn und dem Schlitten gelangen sie nach Schweden, später mit dem Ozeandampfer in die USA - zusammen mit Hunderttausenden anderen russischen Flüchtlingen. Doch auch aus der Ferne bleibt der Musiker seiner Heimat, ihren Melodien und ihrem latenten Hang zur Melancholie stets treu.
Rachmaninow stammt aus wohlhabenden Verhältnissen, wird 1873 auf einem der Landgüter der Familie nahe Nowgorod geboren. Doch sein Vater ist ein Taugenichts, der die Besitztümer nach und nach durchbringt. Schließlich ziehen die Rachmaninows nach St. Petersburg, weil sie auch das letzte Gut verkaufen müssen.
Flammender, kraftvoller Klavierstil
Die Ehe der Eltern zerbricht und das musikalisch begabte, aber völlig verängstigte Trennungskind Sergej scheitert am Petersburger Konservatorium. Doch der Pianist Alexander Siloti, ein Neffe der Mutter und Schüler des großen Franz Liszt, glaubt an den jungen Musiker und ebnet ihm den Weg nach Moskau. Am dortigen Konservatorium arbeitet Rachmaninow wie ein Besessener und entwickelt seinen flammenden, kraftvollen Klavierstil.
Zahlreiche Lieder und eine Oper entstehen, auch die erste von insgesamt vier Sinfonien. Zu ihrer Uraufführung kehrt er in die damalige Hauptstadt St. Petersburg zurück. Sie gerät zum Fiasko, weil der Dirigent Alexander Glasunow angeblich betrunken zur Premiere erscheint. Die Kritiker verreißen Rachmaninows Werk und der 24-Jährige fällt in eine tiefe Depression.
Er zieht sich aufs Land und von der Musik zurück. Erst drei Jahre später hilft ein Arzt durch Hypnose dem Komponisten seine Schaffenskrise zu überwinden. Der Genesene widmet dem Mediziner zum Dank sein zweites Klavierkonzert. Außerdem dirigiert Rachmaninow am Bolschoi-Theater, gründet mit seiner Cousine Natalia Satina eine Familie und tourt durch Europa und die USA.
Der Komponist verstummt
Durch den Ersten Weltkrieg ist er plötzlich vom Ausland abgeshchnitten. Als die Revolution ausbricht, ergreift Rachmaninow die erste Gelegenheit zur Flucht. Von New York aus beobachtet er, wie Josef Stalin in der Sowjetunion eine brutale Diktatur errichtet.
In den Staaten ist er ein gefragter Pianist mit Spitzengagen. Als Komponist hingegen verstummt er, weil ihm die Heimat als Inspiration fehlt. Sie kehrt erst zurück, als er sich am Vierwaldstättersee eine prachtvolle Villa baut. In den Sommermonaten in der Schweiz komponiert er wieder, unter anderem seine dritte Sinfonie.
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs muss Rachmaninow aber auch das Alpen-Idyll verlassen. Er zieht ins klimatisch angenehme Kalifornien - auch weil er immer stärkere Schmerzen im Rücken und an den Händen hat. Wenige Monate vor seinem Tod kauft er sich ein Haus in Beverly Hills, dort stirbt er am 28. März 1943 an Lungenkrebs.
Autor des Hörfunkbeitrags: Michael Struck-Schloen
Redaktion: Gesa Rünker
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