Schattenwelten - 1979: Die Erfindung von Gothic

Stand: 04.07.2024, 12:26 Uhr

Vor 45 Jahren tauchte in London in der Musik, aber auch in der Mode, ein neuer Begriff und Trend auf: gothic! Siouxsie and the Banshees, The Cure, Bauhaus und andere Bands modifizierten den Punk und entwickelten düstere Klänge und einen neuen Kleidungsstil.

Von Torsten Eßer

Die Bezeichnung gothic hat nichts mit gotischen Kathedralen zu tun oder sogar mit den Goten, sondern mit der düsteren oder als schaurig empfundenen Grundstimmung der Musik sowie der meist dunklen Kleidung und den Accessoires. Wie fast immer bei solchen Trend-Begriffen lässt sich der Ursprung nicht genau klären, aber das Wort gothic tauchte wohl zum ersten Mal im Umfeld der Band Joy Division und ihrem im Juni 1979 veröffentlichten Debutalbum "Unknown Pleasures" auf. Man ahnt aber schon, dass das mit den Bezeichnungen in der Zeit des musikalischen Aufbruchs und der Zerfaserung in unzählige Stile zu Beginn der 80er Jahre nicht einfach ist.

Siouxsie & The Banshees | Bildquelle: Frank Griffin

Viele der frühen gothic-Stücke basieren auf der Spielweise des Punk, verwenden jedoch klare Melodiebögen und verzichten auf den permanenten Einsatz ganzer Akkorde. Die Bassgitarre wird häufig stark in den Vordergrund gerückt, um den Kompositionen ein tiefes, dunkles bzw. schweres Stimmungsbild zu verleihen, üblicherweise in Moll gehalten, und angereichert mit elektronischen Soundeffekten. Viele gothic-Rock-Titel sind auch psychedelisch geprägt, als Vorbilder dienten die frühen Pink Floyd oder Krautrockbands aus Deutschland, aber auch Iggy Pop oder die deutsche Sängerin Nico. Bauhaus u.a. nannten auch die Glamrock-Helden David Bowie und T-Rex als Vorbilder, sicher auch in Bezug auf deren Modestil.

So vielfältig wie die Einflüsse auf diese Musikrichtung waren, so vielfältig waren die Spielarten der gothic-Music selbst. Mal standen die elektronischen Klänge und Beats im Vordergrund, mal die krachigen Gitarren, mal die düsteren Stimmen oder der sirenenhafte Gesang. Das alles wurde in der Londoner Musikpresse begleitet von einem Begriffswirrwarr, der von Gothicrock und –punk, über New-, Cold- oder Dark-wave bis hin zu Postpunk oder Gothicwave reichte, ganz zu schweigen von den Bezeichnungen in anderen Ländern. In Deutschland firmierte die Musik auch als Grufti-Musik. Aber ab 1983 bis Mitte der 80er Jahre ging es mit der gothic-music schon wieder zu Ende: Musiker und Fans wanderten Richtung New-Wave, EBM, Doom oder Metal ab, andere Bands - wie Bauhaus - lösten sich auf. Nur ein harter Kern blieb der reinen gothic-music treu.

Gespielte Titel:

Joy Division - Day of the Lords   
Siouxsie and the Banshees - Playground Twist
Bauhaus - Bela Lugosi’s Dead   
Geisterfahrer - Geisterfahrer       
X-Mal Deutschland - Mondlicht  
The Cure - Subway Song
The Cure - Charlotte Sometimes
The Sisters of Mercy - Alice
Nick Cave & The Bad Seeds - Sorrow’s Child
Liaisons Dangereuses - Los niños del parque 
The Human League - Empire State Human
Simple Minds - Theme for Great Cities
The Ramones - Do You Remember Rock ‘n’ Roll-Radio?
Interpol - Leif Erikson

CD/Buch:

  • Various - 1979. Revolt into style (Cherry Red 2022/ 3 CD)
  • Dave Thompson/Kirsten Borchardt: Schattenwelt. Helden und Legenden des Gothic Rock. Hannibal Verlag, 2003.