Lesefrüchte

"Die Quellen" von Marie-Hélène Lafon

Stand: 07.06.2024, 13:22 Uhr

In Frankreich ist Marie-Hélène Lafon eine mit vielen Preisen gewürdigte Schriftstellerin. Jetzt ist ihr vierter ins Deutsche übersetze Roman erschienen. Wie alle bisherigen spielt er wieder im bäuerlichen Milieu der zentralfranzösischen Vulkanlandschaft Auvergne.

Doch in "Die Quellen" geht es um die Autorin selbst. Es ist eine Autofiktion, allerdings eine, in der erst in der letzten Szene der autobiografische Hintergrund klar wird: Marie-Hélène Lafon erzählt die Geschichte ihrer Kindheit auf einem abgelegenen Bauernhof vermittelt über die Porträts ihrer Eltern.

In einem Selbstgespräch lässt eine junge Bäuerin, Mutter dreier kleiner Kinder ihr bisheriges Leben Revue passieren: Es sind Stationen eines beharrlich wachsenden Unglücks. Vom ersten Tag der Ehe an schlägt sie ihr Mann, versetzt sie und die Kinder in Angst. Am Ende entschließt sich die Frau, ihn mit den Kindern zu verlassen.

Ebenfalls in einem Selbstgespräch zieht der Mann sieben Jahre nach der Scheidung eine selbstgefällige Bilanz: Er hat seinen Hofbetrieb im Griff, seine frühere Frau ausbezahlt und er ist froh, dass er sie los ist. – Erst im letzten Abschnitt des Romans taucht eines der Kinder, Claire, auf – und erweist sich als Alter Ego der Autorin.

Das literarisch Besondere an dieser Autofiktion ist, dass Marie Hélène Lafon ihre eigene Perspektive darin ausspart, vermittelt über die Porträts der Eltern erzählt und es dem Leser überlässt, sich ihre Kindheit vorzustellen. Gerade das aber macht "Die Quellen" zu einem tief beeindruckenden Stück moderner Literatur.

Eine Rezension von Peter Meisenberg

Literaturangaben:
Marie-Hélène Lafon: Die Quellen
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Atlantis Verlag, 2024
128 Seiten, 20 Euro